Die glücklichen Seelen in der himmlischen Wolke

FESTSPIELE / KOLLEGIENKIRCHE / MONTEVERDI CHOIR

23/07/12 Ein Engelsherr mit Zinken, Posaunen und Flöten erschien vor dem inneren Auge, ein prächtiges Renaissancegemälde mit Durchblick auf die himmlische Ewigkeit: Der Monteverdi Choir musizierte unter Sir John Eliot Gardiner die Hochmeister der englischen Renaissance: Tallis, Byrd und White.

Von Christiane Keckeis

Was für ein Klang! Wenn die Vokale zur Instrumentierung genutzt werden, ein helles „ä“ plärrt, ein „u“ wie ein Flötenton schwebt, wenn Konsonanten zum Perkussionselement werden: Dann wird aus dem vertonten Text lebendig vielfältige Musik, wird aus dem A-capella-Chor ein Renaissance-Consort. Und wenn ein Komponist lautmalerisch arbeitet wie William Byrd, dann entstehen Bilder eines lachenden Halleluja-Engel-Jubelchores ebenso wie des zerstörten Jerusalem, ein krähender Hahn erwacht zum Leben und man glaubt die ruhig Schlafenden vor sich zu sehen.

Dass Politik Einfluss auf Musik nimmt, ist nichts Neues und in der Tat auch schon im England der angehenden Neuzeit so gewesen, wobei hier der Umweg über die Religion genommen wurde: katholisch, protestantisch oder anglikanisch? Durfte es polyphon und aufwendig, sollte es schlicht und im Einklang sein? Tallis und seine Kollegen richteten sich mal so, mal so, wie es eben gerade erlaubt und erwünscht war, und so sind auch die Werke, obwohl aus einer Epoche, stilistisch breit gespannt. Herrlichste vielstimmige Polyphonie, teils doppelchörig wie Peter Philips „Ecce vicit Leo“ oder im leidenschaftlichen Lob fast weltlich tänzelnd wie Byrds „Laudibus in sanctis“ – die Sängerinnen und Sänger bringen das souverän und mit allen Feinheiten, vom schwebenden Piano bis zur verzweifelt bitteren Anklage. Und obwohl die solistischen Stimmqualitäten der 28 Vokalisten deutlich werden, ist der Ensembleklang nie gefährdet, das Aufeinanderhören ist selbstverständlich und macht auch die Transparenz der polyphonen Sätze aus. Stets ist klar, welche Stimme gerade führt oder wichtig ist.

Der herrlich ausgeglichene Klang, die reine Intonation und ausgefeilte Dynamik machen auch die schlichteren homophonen Sätze zu innigen musikalischen Erlebnissen, Byrds „Justorum animae“ beispielsweise, die Seelen der Gerechten, gehen auf in einem beglückenden Klang, einer himmlischen Wolke, die den Blick preisgibt auf ewigen Frieden. Für seltene winzige Hoppalas war man gleichsam dankbar, hätte man sonst doch der Vermutung erliegen müssen, dass eine Engelschar auf der Bühne stünde statt lebendiger Menschen.

So entschwebte die Zuhörerschaft in der Kollegienkirche ein wenig und die Dankbarkeit für zwei überirdische Stunden machte sich nach einer Pause zum Atemschöpfen in begeistertem Schlussbeifall Luft.

SF / Wolfgang Lienbacher