Der Traum, kein Leben

FESTSPIELE / PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG

29/07/12 So schnell wird aus einem Traum ein Albtraum. Andrea Breth lässt im Landestheater den draufgängerischen jungen Mann nicht in eine Ohnmacht sinken, sondern sterben. Die zweieinhalb Theaterstunden ohne Pause fordern vom Publikum Sitzfleisch und Konzentration. Aber die Mühe für Kleists sperriges Drama lohnt sich.

Von Reinhard Kriechbaum

Der Obrist Kottwitz kommt an der Spitze einer Delegation von Offizieren mit einer Petition zum Kurfürsten. Die Militärs wollen dem Prinzen Friedrich das Leben geschenkt sehen. Der hat zwar gegen den Befehl gehandelt, aber doch eine Schlacht glänzend gewonnen. Der Kurfürst, schlingernd zwischen Menschlichkeit und kriegsrechtlicher Vollzugs-Maschinerie, ist zu dem Zeitpunkt mehr als gesprächsbereit, vielleicht sogar verunsichert, ideologisch angeschlagen gar. Da bricht es aus dem alten Kottwitz heraus, es kommen in ihm urplötzlich die verdrängten Fragen hoch nach persönlichem Engagement, nach Mitverantwortung und Beteiligung. Wahrscheinlich hat Kottwitz sein ganzes Leben nur gebuckelt. Man sieht ihm jetzt die Angst, ja Panik vor der eigenen Courage an, eben das auszusprechen, was er bis dato vielleicht nicht mal zu denken wagte. Hans-Michael Rehberg lässt das in jeder Faser, in jeder Geste spüren und liefert die intensivste Schauspielerszene dieses Abends.

Regisseurin Andrea Breth wartet mit einer scharf analytischen Sicht auf ein Stück auf, mit dem sich Kleist zwischen alle Stühle setzte. Unbedingter Kadavergehorsam, strenge Selbstdisziplin – da steht einer wie Friedrich von Homburg, ein sanguinischer Tag- und Nachtträumer, weit daneben, so sympathisch man ihn auch finden mag. Ein preußischer Offizier, der haltlos nach dem Leben winselt und sogar seine Braut, des Kurfürsten Tochter, flugs aufzugeben bereit ist, um bloß heil davon zu kommen? Das sah man 1809/10 nicht so gerne, aber auch späterhin nicht. Heute stehen die Zeichen ganz anders, Gehorsam um jeden Preis ist kein Thema mehr – und Kleists Drama somit erst recht irgendwie aus der Zeit gefallen.

Wirklich? Andrea Breth lässt es auf den Versuch ankommen. Sie schickt die Burgtheater-Mimen mit Kleists sperriger Sprache gleichsam ohne vorgefasste Meinung aufs theatrale Schlachtfeld. In diesen Nahkämpfen um die Hintergedanken – wer behauptete schon zu durchschauen, was der einsilbige Kurfürst mit dem Hitzkopf Friedrich wirklich vor hat? – darf und muss sich jede Figur bewähren.

Nach hinten zweigeteilt die schlichte, aber immens poesietragende Bühne von Martin Zehetgruber: vorne von unten leuchtende Quadrate und weißgraue Stellwände, vor denen die einheitlich tiefschwarz gekleidete Gesellschaft (Kostüme: Moidele Bickel) scherenschnittartig agiert. Wird das Licht vorne abgedreht, sieht man im Hintergrund einen Wald von Baumstummeln. Der Krieg hat der Natur arg mitgespielt – und vielleicht den Menschen noch mehr als den Bäumen.

Peter Simonischek ist der Kurfürst. In der ersten Szene haben er und die Hofgesellschaft den schlafwandelnden, entschieden zu beredt träumenden Prinzen Friedrich beobachtet. Da hat er ein wenig zu viel von seinem persönlichem Ehrgeiz preisgegeben, als seiner Karriere förderlich ist. Misstraut der Kurfürst dem „Karrieristen“, ist gar Eifersucht im Spiel? Der leicht abzulenkende, impulsive junge Mann – August Diehl – hat nur Augen für Prinzessin Natalie, anstatt genau aufzupassen, was der Feldmarschall Dörfling in Sachen Schlachtablauf diktiert (ein menschlicher Panzer in jedem Schritt: Udo Samel). Obwohl Friedrich einen schönen Erfolg im Scharmützel von Fehrbellin einfährt, wird er doch zum Tode verurteilt, wegen eigenmächtigen Handelns. Selbst in der Soldateska ist dieser Entscheid durchaus umstritten.

Der Kurfürst hat getan was Pflicht … nun wird er auch dem Herzen folgen“ – so sicher ist das alles nicht. Im Grafen Hohenzollern (Roland Koch) hat er einen Fürsprecher, und natürlich im alten Obristen Kottwitz. Auch Natalie (Pauline Knof) wird aktiv, so weit das einer jungen Dame überhaupt möglich war. „So erhaben, dass man es fast unmenschlich nennen könnte“, sagt Natalie zu ihrem Vater, dem Kurfürsten, und entkräftet in dem Moment auch den Verdacht, dass der „Prinz von Homburg“ ein Stück aus extremer Männerperspektive sei. Die genaue Analyse durch Andrea Breth setzt ein gutes Stück Gendergerechtigkeit frei.

A propos Frauen: Wie mag die in den höfischen Szenen omnipräsente, aber stille Gräfin Bork- die streng dreinblickende Elisabeth Orth – über den Gang der Dinge denken? Von der Kurfürstin selbst (Andrea Clausen) gibt’s ja nur diplomatische Äußerungen. Ein zentrasler Moment: Natalie ist eben im Begriff, dem auf Knien lamentierenden Delinquenten Friedrich zärtlich übers Haar zu streicheln, da sagt dieser Feigling geradeheraus, dass er eh nichts mehr mit ihr, des Kurfürsten Töchterlein, am Hut hat. Die junge Dame erstarrt. Solche Szenen sind präzis gearbeitet und es entstehen differenzierte Rollenbilder, auch bei den Randfiguren. Wie sich die Protagonisten anziehen und abstoßen, wie Sympathie-Allianzen wachsen, aber auch zwingende Ablehnung aufbricht – das ergibt in Summe das Bild einer im Wandel begriffenen Wertordnung.

„Ein Traum, was sonst?“ Es bleibt alles beim Alten, laut Kleist – aber Andrea Breth wendet die Schlussszene in abgrundtiefe Trauer. Laut Kleist sänke Prinz Friedrich, für den sich alles zum Guten gewendet hat, in eine Ohnmacht, hier ereilt ihn der Tod. „Zum Sieg, zum Sieg“, mahnt der Feldmarschall mit monotoner Stimme. Es hat niemand etwas gelernt aus der Sache, der Krieg geht weiter. Händels berühmte Klavier-Sarabande ist der insistierende Trauergesang auf eine vergebene Option.

Aufführungen bis 12. August im Landestheater. http://www.salzburgerfestspiele.at/schauspiel - Im Spielplan des Wiener Burgtheaters ab 6. September. www.burgtheater.at
Bilder: SF / Bernd Uhlig