Totentanz mit E-Gitarre

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / GERGIEV

30/07/12 Der russische Maestro versteht sich auch auf leise Töne, das machte der erste Teil dieses „Philharmonischen“ bei den Festspielen ebenso deutlich. Nach der Pause erzeugte Valery Gergievs berühmt-berüchtigt brachiale Brillanz am Sonntag (29.7.) zu Vormittagsstunde gehörig Effekt.

Von Gottfried Franz Kasparek

altIgor Strawinskys Psalmen-Symphonie passt natürlich prächtig in die „Ouverture spirituelle“, zu der diese Matinee im Großen Festspielhaus noch gezählt wurde. Das in seiner klassizistischen Meisterschaft und spröden Gläubigkeit singuläre Werk ist die Frucht der Besinnung des Komponisten auf seine russisch-orthodoxen Wurzeln. Es fasziniert immer wieder, wie Strawinsky ohne Klarinetten, Violinen und Bratschen transparente Klanglichkeit schafft oder wie ergreifend das wahrscheinlich introvertierteste Halleluja der Musikgeschichte sein kann. Valery Gergiev machte mit dem Orchester tatsächlich so etwas wie groß besetzte Kammermusik, bei der die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor kraftvolle Akzente setzte, aber sich auch im Leisen bewährte.

Modest Mussorgskis „Lieder und Tänze des Todes“, auch sie spirituell zu verstehen, erklangen sodann nicht in der im deutschen Programmtext angekündigten Instrumentation von Schostakowitsch, sondern in einer neuen, 2007 uraufgeführten von Alexander Raskatov (geb. 1953), worüber es immerhin im englischen Programmheftbeitrag etwas zu lesen gibt.

Raskatov, einer der namhaftesten zeitgenössischen Komponisten Russlands, in der Tradition des Polystilismus eines Alfred Schnittke stehend, scheut nicht vor einer E-Gitarre im philharmonischen Verband zurück, setzt Klavier, Cembalo und Celesta punktuell und mit Geschick ein, sowie reichhaltiges, aber sehr differenziert behandeltes Schlagwerk. Außerdem hat er stimmungsvolle Zwischenmusiken geschrieben, deren letzte die zum abschließenden „Feldherrn“ passende Krönungsszene aus „Boris Godunow“ verwendet. Insgesamt entsteht ein mitunter erstaunlich duftiges Klanggewand, dem sich Dirigent und Orchester hingebungsvoll widmeten. Viel Applaus auch für den Ukrainer Sergej Semishkur, einen typisch russischen Zwischenfachtenor mit metallischer Legierung in der baritonal gesund verankerten, nicht allzu großen Stimme, die dank profunder Technik und guter Diktion bestens hörbar ist.

Nach der Pause durften die Wiener Philharmoniker nach Herzenslust aus dem Vollen spielen. Gergiev ist natürlich der richtige Mann für ein Werk wie Sergej Prokofjews Fünfte Symphonie in B-Dur op. 100 aus dem Jahr 1944. Natürlich, das ist ein klingendes Denkmal des „sozialistischen Realismus“, das ist toll instrumentiert, samt Tschaikowski beschwörenden Streicherkantilenen oder sogar einer Richard Strauss-Assoziation zu Beginn des Finales. Aufregend schillernde Musik voll dramatischem Impetus und sarkastisch formulierter Triumphgebärde. Das ironische Unterfutter darf nicht fehlen, wenn es auch nie so in die Magengrube fährt wie bei Schostakowitsch. Jedenfalls ist da Gegievs energischer, dabei diesmal erfreulich nuancenreicher und kaum ins allzu Martialisch-Laute kippender Zugriff nicht fehl am Platz und führte zu entsprechender Begeisterung.

Das Konzert wird heute Montag (30.7.) um 20.30 Uhr im Großen Festspielhaus wiederholt.
Bild: SF / Wolfgang Lienbacher