Musik aus dem Herrgottswinkel

FESTSPIELE / LIEDERABEND MAGDALENA KOZENA

02/08/12 Freie Plätze im Großen Saal des Mozarteums, bei einem Liederabend mit Magdalena Kožená? Wahrscheinlich gibt’s zur Zeit einfach des Guten zu viel bei den Festspielen. Von den sechs Veranstaltungen des gestrigen (Mittwoch-)Abends waren für fünf am Nachmittag noch Online-Tickets auf der Festspiel-Website zu haben.

Von Reinhard Kriechbaum

Nur die „Bohème“ war an diesem 1. August wirklich ausverkauft. Mag schon stimmen, was die Präsidentin jüngst in einem Zeitungsinterview sagte: Die Menschen stürmten die Festspielkasse, als ob es dort ofenwarme Semmeln gebe. Es liegt im Moment aber deutlich zu viel frisches Backwerk im Körberl.

Im Fall des Kožená-Konzerts kam dazu: Es war kein herkömmlicher Liederabend, denn auch die Orgel war ein Thema. Und die verschreckt offenbar mehr Leute, als eine prominente Sängerin anzulocken vermag. Auch wenn ein Meister seines Fachs, der famose Christian Schmitt, Finger und Beine über die Tasten wirbeln lässt. Im Wortsinn tat er das an dem Abend in Petr Ebens „Die Hochzeit zu Kana“, einem mitreißenden, neoklassizistisch angehauchten Stück, das uns die biblische Hochzeitsgesellschaft ausgelassen tanzend vor Ohren führt. Eine andere Spielart von „Konzertsaal-Frömmigkeit“ (was für ein schönes Wort, entdeckt im Programmheft): Olivier Messiaens „Les mains de l’abime“, das alle Eigenart des französischen Hyper-Musik-Katholiken aufs Anschaulichste zeigt, von den wuchtig-dicklichen Akkordblöcken bis zu den transzendent anmutenden, auf exotischen Skalen beruhenden melodischen Linien. Christian Schmitt ist vertraut mit den Klangfarben der französischen Orgel-Symphonik und er fand in der Propter-Homines-Orgel im Großen Saal des Mozarteums Klangfarben, die das Staunen lehrten. Auch in Liszts epochaler Huldigung des Orgelgottes schlechthin, Präludium und Fuge über B-A-C-H.

Spannend: Eine Sängerin vom Format der Kožená widmet sich Bachs intimster geistlicher Hausmusik, Liedern aus dem Schemelli-Gesangbuch. Das war eine Bewährungsprobe, und es war instruktiv zu hören, wie genau Magdalena Kožená tariert zwischen gebotener Schlichtheit und den ariosen Möglichkeiten, die Bach der Singstimme öffnet. Keine Spur von überzogenem Ausdruck, wenn es in einem Karfreitags-Gesang im Text heißt „Mein Gott ist tot, sein Geist ist aufgegeben“. Dafür reiche Verzierungen in „O liebe Seele, zieh die Sinnen“, ein entschieden-ungeduldiges Antauchen des Menuett-Rhythmus in „Liebster Jesu, wo bleibst du so lange?“ Und schließlich das schon fast reißerische „Kommt, Seelen, dieser Tag“. Von den dutzenden Strophen (den Texten im Schemelli-Gesangsbuch fehlt es nicht an Schwulst) wurde immer nur eine zweite ausgewählt, wenn überhaupt. Mehr als einen Seitenblick wert: wie farbenreich und bewegt Christian Schmitt auch innerhalb der Stücke die Orgel registrierte. Bei einer Stimme wie jener der Kožená braucht man sich nicht zurückhalten am Instrument.

Das gilt noch vielmehr für Antonin Dvoràks „Biblische Lieder“. Auch das ist im Prinzip „private“ Musik, die sich gleichsam entfaltet fürs Podium. Passt gar nicht schlecht neben die Schemelli-Lieder, die ja auch ihrem Gehalt nach weit mehr Raum füllen als den Herrgottswinkel daheim. Und wieder hat Magdalena Kožená mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit diesen Zwischenton getroffen vom schlichten Psalmvers zur üppigen Opernszene, wie sie etwa das an Musikbildern reiche „Gott erhöre mein Gebet“ anbietet. Lohnend nachzuhören, was für Möglichkeiten Dvorak (der selbst auch Organist war) in diesem Liederzyklus dem Instrument bietet. Die „Biblischen Lieder“ enden übrigens in einem tänzerisch-pietistischen Gassenhauer sondergleichen: „Singt dem Herren neue Lieder“.

Das kurze Programm wurde im Zugabenteil ergänzt um eine Arie aus einer Bach-Kantate und um Hugo Wolfs „Gebet“.

Bilder: SF / Silvia Lelli