Bei Karl Böhms „Zauberflöte“ eingeschlafen…

IM WORTLAUT / DANIEL BARENBOIM

02/08/12 Vor zwei Jahren, 2010, war Daniel Barenboim Festredner bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele. Damals erzählte er unter anderem davon, wie nachhaltig ihn diese frühen Salzburger Jahre geprägt haben.

Von Daniel Barenboim

Neun Jahre war ich alt, als ich im Sommer 1952 zum ersten Mal nach Salzburg kam. Es war überhaupt mein erster Aufenthalt außerhalb von Buenos Aires, meine erste Europareise und meine erste Begegnung mit dem so außerordentlich reichen musikalischen Leben der Salzburger Festspiele.

In den Tagen vor Anbruch des Jet-Zeitalters dauerte die Reise nach Europa entsetzlich lange.

Wir waren drei Tage lang unterwegs, erst mit dem Flugzeug – einer Propellermaschine natürlich – dann mit der Eisenbahn, und als wir endlich in Salzburg eintrafen, war ich völlig erschöpft. Dennoch fiel mir, als wir am Festspielhaus – dem heutigen Haus für Mozart – vorbeikamen, ein Plakat auf, das eine Aufführung der Zauberflöte ankündigte. Ich fragte meine Eltern, worum es sich dabei handele, und sie erklärten mir, dass es eine Oper von Mozart sei. Natürlich gab es keine Karten mehr, doch meine Mutter, die eine sehr unternehmungslustige Frau ohne den geringsten Anflug von Schüchternheit war, meinte, ich sollte doch auf eigene Faust versuchen, irgendwie ins Festspielhaus reinzukommen.

Als der kleine Knabe, der ich war, schaffte ich es tatsächlich, mich unbemerkt hineinzuschleichen. Ich entdeckte eine leere Loge, in der ich wie ein kleiner Prinz Platz nahm. Die Musiker stimmten ihre Instrumente, Karl Böhm schritt ans Dirigentenpult – und ich schlief prompt in der dunklen, gemütlichen Loge ein. Einige Zeit später wurde ich wieder wach und da ich nicht wusste, wo ich mich befand und wo meine Eltern waren, fing ich in meiner Verwirrung zu weinen an. Ein Logenschließer eilte herbei und beförderte mich umgehend nach draußen – und damit war mein kleines Abenteuer zu Ende. Als ich Jahre später mit den Wiener Philharmonikern unter Karl Böhm auftrat, erzählte ich ihm diese Anekdote aus meiner Kindheit, was vielleicht nicht klug war, denn er war alles andere als erfreut darüber, dass jemand es fertig gebracht hatte, bei einem seiner Auftritte einzuschlafen. Mein jugendliches Alter war für ihn keine Entschuldigung.

Natürlich traf ich nach diesem Anfangserlebnis damals, 1952, wie auch in späteren Jahren, in Salzburg mit einigen der führenden Musiker der Welt zusammen. Es war ein Ort, an dem man Leuten begegnen konnte, die Brahms noch persönlich gekannt hatten; die geistigen Nachfolger der größten Musiker der Vergangenheit waren anwesend, Zeugen einer anderen Ära.

Ich lernte Edwin Fischer kennen und hörte ihn – ein Pianist, der bis zum heutigen Tag inspirierend auf mich wirkt – und ich selbst spielte bei jenem ersten Aufenthalt im Jahr 1952 im Rahmen des Abschlusskonzerts von Igor Markevitchs Dirigierklasse ein Konzert von Bach.

1954 traf ich mit Furtwängler zusammen und spielte für ihn; er ließ mich im Orchestergraben neben dem Cembalo sitzen und von dort aus nicht nur Proben zu Don Giovanni verfolgen, sondern auch Aufführungen der Oper beiwohnen. Es war alles ungeheuer bereichernd für einen Jungen meines Alters, und der Geist, der in jenen Tagen in Salzburg herrschte, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck bei mir.

Bild: SF / Fotoagentur Franz neumayr (1); Archivfoto aus dem Buch "Daniel Barenboim. Die Musik - Mein Leben" (1)
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