Musikmachen als Lebenseinstellung

FESTSPIELE / CAMERATA SALZBURG

03/08/12 Wie würde man ein typisches Konzert mit Sándor Végh beschreiben? Vielleicht so: Selbst wenn man müde und abgekämpft hinein ging, kam man unter Garantie erfrischt heraus. – Zwei Mal in diesen Festspielen bietet die Camerata Salzburg einen musikalischen Marathon zum Gedenken an Végh.

Von Reinhard Kriechbaum

Es hat am Donnerstag (2.7.) in obigem Sinne wieder funktioniert, auch 15 Jahre nach Véghs Tod (im Jänner 1997): Ein schwüler Hochsommer-Nachmittag um 16 Uhr, da muss man sich schon am Riemen reißen. Bachs Orchestersuite D-Dur BWV 1068 drängt sich nicht auf zu der Tageszeit. Aber dann Erich Höbarth am Konzertmeisterpult der Camerata, hellwache Dialoge, durchaus „klangrednerisch“ gestaltet von den Streichern, kernig gefasst von den Oboen und Naturtrompeten. Kein bisschen verzärtelt die berühmte „Air“, fast bärbeißig die Bourée – da fand man sich flugs herausgeholt aus dem Alltag. Es braucht eigentlich keine Klimaanlage zum Erfrischen. Solche Musik – und eine solche Wiedergabe – tut’s auch. Vielleicht sogar besser.

Erstaunlich übrigens, dass diesmal der Große Saal des Mozarteums Saal so gut wie voll war, schon um 16 Uhr, im ersten der insgesamt vier jeweils gut einstündigen Programmblöcke. Das Programm war als eine Art „Musikalischer Akademie“ angelegt, so wie es in der Mozart-Zeit durchaus üblich war und wie es Sándor Végh auch in seinem Salzburger Camerata-Festival „Begegnung“ gerne praktizierte. Leute, die bei Végh studierten oder mit ihm musizierten, spielten solistisch oder traten in Dialoge mit der Camerata, der gottseidank auch Chefdirigenten wie Roger Norrington oder Leonidas Kavakos den Végh’schen Team- und Musiziergeist nicht ausgetrieben haben. Der wirkt weiter. Warum das so ist, darüber zu sinnieren hat man in den beiden Festspiel-Marathonkonzerten hinreichend Gelegenheit.

Es ist ja frappierend, wie unterschiedliche Wege aus der Végh-Schule auch wieder herausführten. Sein ehemaliger Student Erich Höbarth ist dann Originaltöner geworden, Harnoncourts Konzertmeister im Concentus Musicus Wien und Primarius des Quatuor Mosaique. Und doch: Wenn er mit den Camerata-Musikern zu dialogisieren beginnt, ist da ein Grundverständnis, um das man nicht erst ringen muss. Alexander Janiczek war ein Früh-Zwanziger, als er Camerata-Konzertmeister und als solcher von Végh unter die Fittiche genommen wurde. Janiczek, nicht ganz eine Generation jünger als Höbarth, hat sich nicht vom vermeintlichen Originalklang hat verführen lassen – und auch da funktioniert der Dialog augenblicklich. Das hat man auch gleich im ersten Programmblock, am Beispiel von Mozarts Adagio für Violine und Orchester in E-Dur KV 261 nachhören dürfen.

Im übrigen: Paarungen von Végh-Schülern und –Vertrauten funktionieren auch querfeldein. Andras Schiff war ein besonderer Protegée von Sándor Végh. Als Solist im Klavierkonzert G-Dur KV 453 wurde er von Erich Höbarth vom Konzertmeisterpult aus begleitet – das war spannungsvoll und gleichgestimmt zugleich, ungemein gedankentief im langsamen Moll-Satz. Man hört Schiff ja jedes Jahr bei der Mozartwoche mit seiner „Cappella Andrea Barca“, und auch da berufen sich manche Musiker auf die Végh’sche Prägung. Wenn man diese Ergebnisse freilich vergleicht damit, wie Schiff und die Camerata dialogisieren – absolut kein Vergleich.

Viele Stunden Musik am Donnerstag, nachmittags und abends. Höbarth hat mit einem kleinen Streichertrüppchen Mozarts Bearbeitungen von Bach-Fugen eingebracht, die Sopranistin Anna Prohaska und die Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis waren mit von der Partie. In die Posthorn-Serenade, ohnedies ein Stück mit Hang zur Unendlichkeit, wurden noch drei Arien eingeschnitten. Man hatte also auch im vierten Block noch ordentlich Töne abzusitzen, aber das lohnte. Immerhin waren es Arien mit obligaten Instrumenten, wo zu den genannten auch der Klarinettist Jörg Widmann trat (der ist nun aber wirklich eine neue Generation).

Und dann war auch noch der Cellist Steven Isserlis da. Von ihm sind im Programmheft allerlei persönliche Erinnerungen abgedruckt. Wer kann sich schon rühmen, vom Meister ein Glas Bier über den Kopf geschüttet bekommen zu haben? Er hatte sich von Végh dabei erwischen lassen, wie er ihn nachäffte. Auch Isserlis, der jetzt die von Sándor Végh begründeten Musikkurse in Prussia Cove leitet, hat sich natürlich auch eigenständig weiterentwickelt. Ob sein Mentor mit der Wiedergabe von Bachs Dritter Cellosuite glücklich gewesen wäre? Wie auch immer. Véghs Schule war kein „Stil“, eher eine Lebenseinstellung zum Musikmachen.

Der zweite Gedenk-Marathon der Camerata Salzburg findet am 9. August statt, ebenfalls ab 16 Uhr im Großen Saal des Mozarteums. Das Bach/Mozart-Konzert vom Donnerstag wird am 10. August ab 19.30 Uhr auf Ö1 gesendet.
Bilder: SF / Silvia Lelli