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Heldentod und Menschenglück

FESTSPIELE / TAMERLANO

10/08/12 Plácido Domingo, der Belcantostar unter Alttönern? Domingo bescherte als standhafter Sultan Bajazet seinem Publikum eine wunderbare Wieder-Begegnung. Der Countertenor Bejun Mehta spielte den Titelhelden als verzogenes trotziges Kind, als „Zornbinkel“, der seinen Willen stampfenden Fußes durchsetzt. Und die Sopranistin Julia Lezhneva schien wiedereinmal direkt aus dem Sängerhimmel nach Salzburg gekommen zu sein.

Von Heidemarie Klabacher

Liebe und Hass. Herrschsucht und Opferwille. Eifersucht und Eitelkeit: Gängige Zutaten bilden in Georg Friedrich Händels Oper „Tamerlano“ den gängigen Vorwand zum Singen. Doch das krudeste Libretto zwischen Heldentod und Herrscherpose erzählt bewegende Geschichten – wenn so beispielhaft musiziert und gesungen wird, wie in der konzertanten Aufführung im Großen Festspielhaus.

Worum geht es noch mal? Tamerlano hat den türkischen Sultan Bajazet besiegt. Bajazet und seine Tochter Asteria sind Gefangene im Palast des Tartarenfürsten. Der Titelheld soll aus Staatsräson die Prinzessin Irene heiraten, hat sich aber inzwischen in die Tochter des Feindes Bajazet verliebt. Großzügig will er Irene seinen Verbündeten Andronico andrehen, der aber längst Asteria liebt… Daraus mixte der Textdichter Nicola Francesco Haym (in seiner Fassung des beliebten und mehrfach vertonten Stoffes) besagten Cocktail aus Mannesstolz und Frauenliebe (und umgekehrt). Bajazet – die eigentliche Hauptfigur – geht für seine Ehre und die Ehre seiner Tochter in den Tod. Nachdenklich-versöhnliches Ende ohne Schluss-Jubel. Für den sorgte das Publikum.

Marc Minkowski leitete Les Musiciens Du Louvre Grenoble mit dem ihm eigenen federnden und vorwärts drängen Drive. Legte einen fein konturierten Klangteppich, stellte schillernde  Klangkulissen in den Raum – der unter dem sich aufladenden Emotionspegel schier zu bersten schien.

Der Countertenor Bejun Mehta gab den Titelhelden als verzogenes trotziges Kind, als „Zornbinkel“, der seinen Willen stampfenden Fußes durchsetzt – und gemeingefährlich wird, wenn an seiner wahnhaften Eitelkeit gekratzt wird. Eine Paraderolle für Bejun Mehta und seine perfekt fokussierte, bewegliche und doch so tragfähige Stimme. Die größten Tonsprünge werden von ihm auf eine einzige goldene Linie gebracht. Die feinsten Schnörkel in den Verzierungen kommen im da Capo immer noch kleingliedriger und präziser daher. Atemberaubend.

Tamerlanos Verbündeter im Krieg und Konkurrent in der Liebe ist der Grieche Andronico. Franco Fagioli lieh der zweiten Counter-Partie seine Stimme. Es war außerordentlich spannend, zwei so verschiedene Klangfarben aus diesem Stimmfach nebeneinander zu erleben. Samtig im Timbre, den Klang weicher und etwas weiter „streuend“ als Kollege Mehta, bestach Franco Fagioli ebenfalls mit Geschmeidigkeit und Beweglichkeit. Nicht nur in den lyrischen Passagen – das Liebesduett mit Asteria war einer der Höhepunkte in diesem Festspiel der Gesangskultur – sondern etwa auch in der zupackenden Bravourarie „Stolzer als ein Tiger“.

Die erst zweiundzwanig Jahre alte Sopranistin Julia Lezhneva (sie war u.a. in Strawinskys "Rossignol" hier zu erleben) sang die Rolle der Asteria mit engelsgleicher Ruhe und Souveränität. Sie bezauberte mit vollem facettenreichen Klang und strahlenden Höhen, faszinierte mit technischer Perfektion im Lagenausgleich und ihren - auf unendlich strömendem Atem gesungenen – weit gespannten Linien. Sie setzte den sängerischen Glanzleistungen dieses Abends die Glanzlichter auf. Ebenso perfekt besetzt war die Partie der Irene mit der Mezzosopranistin Marianne Crebassa, die rollenbedingt ein wenig im Hintergrund blieb. Ein weiterer Luxus: Michael Volle als Leone, als Bote und Vertrauter Irenes.

Und Plácido Domingo? Der Belcantostar unter Alttönern? Sein Bajazet berührte vom ersten Auftreten bis zur hochdramatischen Sterbeszene, in der der Unbeugsame die Furien der Hölle beschwört: Lockere Koloraturen, im ständigen engen Kontakt mit Marc Minkowski präzise artikuliert, schmelzender Tenorklang, wie eh und eh. Dazu, wenn nötig, stimmtechnisch perfekt sitzende Attacke: Eine wunderbare Wieder-Begegnung. Ein Erlebnis.

Die konzertante Aufführung wird am Sonntag (12.8.) um 20.30 Uhr im Großen Festspielhaus wiederholt - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF/Silvia Lelli





 

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