So muss es sein!

FESTSPIELE / HAGEN QUARTETT /BEETHOVEN-ZYKLUS

12/08/12 Hoch oben auf dem Kammermusik-Parnass ist die Luft dünn. Dort behaupten nur wenige Ensembles einen Platz. Eines davon ist das Hagen Quartett. Und auch für ein solches Spitzenensemble ist es keine gering zu schätzende Leistung, an zwei Abenden sechs Beethoven-Quartette nicht nur zu spielen, sondern bis in letzte Details hinein auszuloten.

Von Horst Reischenböck
und Heidemarie Klabacher

altDas Ohr wird nicht müde - auch wenn drei Quarette in der gleichen Tonart erklingen. Dennoch „traute“ sich das Hagen Quartett am Freitag (10.8.) etwas Besonders, als es nicht nicht nur drei „Kaliber“ der Gattung, sondern noch dazu drei Kaliber in einer einzigen Tonart spielte: Auf dem Programm standen Beethovens op. 18/1, das Opus summum 135 und op. 59/1 - jeweils in F-Dur.

Auch das Konzert am Samstag (11.8.) spannte einen Bogen über das Quartett-Schaffen Beethovens, und zwar vom „Quartetto serioso“ f-Moll op. 95, über das „Harfen-Quartett“ Es-Dur op. 74 bis zum wundersamen Streichquartett B-Dur op. 18/6 – mit dem zusätzlich der Kreis zum ersten Abend geschlossen wurde.

Zunächst also dreimal F-Dur, jener Tonart der Christian Friedrich Daniel Schubart in seiner Ästhetik der Tonkunst „Höflichkeit und Frieden“ zuschrieb: ein Aspekt, dem im Laufe des abendlichen Geschehens durchaus etwas abzugewinnen war. Wobei der Frieden von den Hagens durch die ihnen eigene innere Gelöstheit zusätzlich geadelt wurde: Stehen sie doch längst nicht mehr nur mit ihrer stupenden Technik über den Dingen. „In der Ruhe liegt die Kraft“, eine derartige Herausforderung nicht bloß zu bewältigen, sondern eben auf höchstmöglichem Niveau durchformend zu gestalten.

So bildeten gerade die langsamen Sätze die jeweiligen Höhepunkte, ließen den Atem anhalten. Forderte schon das erste Unisono im Kopfsatz von op. 18/1 wache Aufmerksamkeit, so überrumpelte dann Primarius Lukas Hagen förmlich mit seiner spannungsgeladen tief emotionalen Ausleuchtung des nachfolgenden Adagios.

Logisch, dass dem Scherzo geradezu gespenstische Züge eignen mussten. Hintergründig kommentiert war danach der Einstieg in Beethovens letztes vollendetes Werk, in das Streichquartett F-Dur op. 135, in dem er nach der Gesangslinie des Lento assai die berühmte Frage „Muss es sein?“ im Grave mit „Es muss sein!“ im Allegro beantwortete. Nach dieser Interpretation kann es auch keinen Zweifel daran mehr geben. Auch das erste der drei „Rasumowsky“-Quartette op. 59/1, ein weiterer kapitaler Brocken, war ein einziges, in allen Details beglückendes Glanzlicht.

Erstaunlicherweise war der erste Termin am Freitag nicht ausverkauft, wogegen es beim zweiten Termin am Samstag kaum mehr freie Plätze zu entdecken gab.

Die widerständige Sperrigkeit des „Quartetto serioso“ op. 95 wurde von den Mitgliedern des Hagen Quartetts noch zusätzlich gegen den Strich gebürstet. Akzente und Synkopen scheinen in dieser Lesart selbst kleinere Stolpersteine im Schicksalsfluss zu Felsgröße anwachsen zu lassen. Ebenso mitreißend und aufwühlend – aber Werk bedingt nicht mehr ganz so beunruhigend - kam das „Harfen-Quartett“ op. 74 daher. Die dynamischen Läufe im Presto schienen zwar auch wie ein Wasserfall vom Felsen zu stürzen, aber das Bild dürfte immerhin an einem strahlenden Sonnentag aufgenommen worden zu sein.

Geradezu bewegend war die Wiedergabe des Streichquartetts B-Dur op. 18/6 das vom Hagen Quartett heiter federnd auf den Weg gebracht wurde – um unter diesem scheinbar bequemen Weg die gefährlichen Brüche und Ausschwemmungen wie mit der Rohrkamera aufzuzeigen. Anrührend, schlicht wie ein Volkslied, strahlend im Ton, spielte danach Lukas Hagen die kleine Melodie im Adagio, die alsbald von Rainer Schmidt aufgenommen und wieder zurückgespielt wurde. Doch dann die Wendung ins Moll, die Eintrübung – die doch noch einmal dem Licht weichen muss... Mit angehaltenem Atem lauschte man auch hier dem Kampf zwischen Dunkel und Licht.

Klang-Suspense pur war dann das Scherzo, vorwärts drängend, von heftigen Impulsen wie mit der Peitsche angetrieben. Kein so offensichtlicher Kampf – vielmehr das unabwendbare Hin und Her zwischen Licht und Schatten, Hoffung und Verzweiflung – spielt sich im Adagio  ab. Der Satztitel ist hier Programm: La Malinconia. Melancholie. Zweimal bauen je drei der vier Instrumente überirdisch schöne Harmonien auf, das vierte Instrument tritt hinzu, endgültiger Friede scheint sich einzustellen – da fährt die erste Geige wie ein Blitz aus heiterem Himmel hinein… Wie eine verblassende Erinnerung kommt nach diesen heftigen Käpfen noch einmal die Anfangspassage wieder, wehmütig, auf verlorenem Posten. Der scheinbar heitere Kehraus vermag kaum mehr, die emotionalen Wogen, die das Hagen Quartett so brillant aufgerührt hat, zu besänftigen.

Bild: SF / Wolfgang Lienbacher