Tiefenschürfer und Oberflächler

FESTSPIELE / SCHUBERT-ZYKLUS / BARENBOIM

16/08/12 Seit sechzig Jahren tritt Daniel Barenboim in Salzburg nun auf. Denkmälern eignet nach so vielen Jahrzehnten eine gewisse Patina. Die kann veredeln, aber gelegentlich deckt sie auch das kostbare Material zu.

Von Reinhard Kriechbaum

In einem Pressegespräch anlässlich des Konzerts mit dem West-Eastern Divan Orchestra vor zwei Wochen bei den Festspielen war natürlich auch die Rede von Daniel Barenboims dreiteiligem Schubert-Zyklus. Die drei letzten Sonaten – rechnet man das G-Dur-Werk D 894 dazu, sogar die letzten vier – hat Barenboim noch nie zuvor zyklisch gespielt. Intendant Pereira erzählte, dass Barenboim dazu nicht leicht zu bewegen gewesen sei. Barenboim selbst erklärte, dass der Sommer (nach der Orchestertournee) für ihn eigentlich nicht die Zeit sei zum Klavierspielen. Aber – so also sprach er vor zwei Wochen – er werde nun auf Urlaub gehen, versuchen, den Kopf frei zu bekommen – und üben. An Problembewusstsein fehlt es wohl nicht.

Die Sache hätte sich am späten Mittwochabend (15.8.) im Großen Festspielhaus auch so schlecht nicht angelassen. Sanft drückte Barenboim im Eröffnungssatz der G-Dur-Sonate die Akkorde in die Tasten, ließ mit viel Leichtigkeit daraus die immer neu ausformulierten „Intermezzi“ im charmant-wiegenden Rhythmus herausrollen. Man weiß, dass Barenboim keiner ist, der die Hörer gerne zu Abenteuerreisen in musikalische Problemzonen überredet – und so geriet  auch der Andante-Satz erwartungsgemäß zierlich. Wer suchte, fände auch da genügend Schubert’sche Abgründe. Die deutet Daniel Barenboim bestenfalls an, indem er möglichst leise wird an solchen Stellen. Ein Effekt, der sich im Verlauf von vier ausgewachsenen Schubert’schen Ende-nie-Sonatensätzen schon abgreift. Man ging in die Pause mit dem Gefühl, zwar ordentlich eingeschmeichelt worden zu sein, aber nicht wirklich Schubert in wünschenswerter Tiefe mitbekommen zu haben.

Doch dann kam’s nun wirklich knüppeldick: Vielleicht war ja wirklich einfach zu wenig Zeit zum Üben, vielleicht ist die Barenboims Technik schon insgesamt zu mickrig für die kapitale c-Moll-Sonate D 958. Nennen wir die Sache einfach ungeschönt beim Namen: unendliche manuelle Schlamperei, Null Anschlagsnuancen. Anstatt tiefenschürfendem spätem Schubert nichts als pianistischer Überlebenskampf, um wenigstens an der Oberfläche zu bleiben.

Was Barenboim im Pressegespräch vor zwei Wochen auch sagte: Bei der Beschäftigung mit den späten Sonaten habe er auch die früher entstandenen genauer angeschaut. Zum ersten Mal. Und in zwei Jahren wolle er das gesamte Schubert’sche Sonatenwerk en bloc spielen. Bis dahin kann er ja hoffentlich noch öfters Auszeit zum Denken und Üben nehmen. Er sollte sie, nach den Erfahrungen mit der c-Moll-Sonate, nicht zu knapp bemessen.

Die weiteren Termine in Daniel Barenboims Schubert-Zyklus: 20.8. und 24.8., jeweils 21 Uhr im Großen Festspielhaus – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Wolfgang Lienbacher