Die kafkaeske Bosheit im charmanten Diminutiv

FESTSPIELE / THALIAS KOMPAGNONS / KAFKAS SCHLOSS

20/08/12 Braucht es zum Puppenspiel technischer Raffinesse, müssen feinmechanisch gefinkelte Wunderwerke in Gang gesetzt werden, um der Fantasie der Zuschauer auf die Sprünge zu helfen? Nein, grob beschnitzte Holzklötzchen tun es genau so.

Von Reinhard Kriechbaum

Kafkas „Schloss“, die gefinkelte Satire auf Macht durch Bürokratie: Das ist die zweite Produktion der „Thalias Kompagnons“ bei den Salzburger Festspielen.  In Raimunds „Bauer als Millionär“ vor zwei Wochen haben die beiden begnadeten Poesie-Illusionisten Tristan Vogt und Joachim Torbahn vorgeführt, wie gefinkelt Videotechnik beim Puppenspiel eingesetzt werden kann. Nun das extreme Gegenteil: ein Tisch, ein Sessel, ein Kasten. Und ein Darsteller – Tristan Vogt –, der die Grenze zwischen Puppen- und Schauspieler einfach wegwischt, als ob es so etwas gar nicht gäbe.

Dabei ist der Größenunterschied zwischen Mensch und Puppe ansehnlich. Die bemalten Püppchen sind gerade handspannengroß oder noch kleiner. Wenn es gilt, im Schloss mal telefonisch nachzufragen, führt Tristan Vogt einfach eine Figur wie ein Handy ans Ohr. Und wenn Herr K., der im Dorf Gestrandete, Erkundungen einholt, dann bekommen sogar die kleinen Holzhäuschen Stimmen: „Wir kleinen Leute halten uns an die Regeln“ – sprechen’s und stehen auch schon Reih und Glied.

Herr K. landet in einem Dorf, das offenbar unter der Knute einer ominösen Macht steht. Jenen „im Schloss“ entgeht nichts, und es ist selbstverständlich, dass man pariert. Die Frauen haben ihre eigenen Erfahrungen mit denen, die Herrschaft und Bürokratie nach rätselhaftem hierarchischen System ausleben.

Aus dem alten Kasten holt Vogt eine Schachtel nach der anderen. Das Zimmer, in dem Herr K., der Landvermesser, Unterschlupf findet: eine Schachtel. Das Büro der Beamten Bürgel und Erlanger: Schachteln. Die Familie Barnabas logiert ebenfalls in einer Schuhschachtel. Das ist praktisch, weil so sind die Mini-Akteure auch rasch wieder verstaut.

Worin sich die beiden Produktionen der „Thalias Kompagnons“ treffen: Weder bei Ferdinand Raimund noch bei Franz Kafka wird aufdringlich interpretiert. Den Zuschauern wird keine Deutung brachial aufs Auge gedrückt. Zuerst geht es ums Geschichtenerzählen, und in die Fabulierlust schleicht sich allemal der eine oder andere Augenzwinkerer, eine behutsame Überzeichnung da und eine kleine, unauffällige Überdrehtheit dort. Das hat zuallererst Charme. Dann erst kommt die ironische Brechung, die dann doch dieses „Machtspielchen“ (so der Untertitel) prägt. In so liebenswürdigem Diminutiv kann die „kafkaeske“ Bosheit dahertrippeln.

Sie können nicht viel, die bemalten, beschnitzten Holzklötzchen, die da Puppen heißen? Da ist eben der Erzähler gefordert, er verstellt die Stimme, lebt manche Marotte aus und springt ein mit allerlei Utensilien. Köstlich die Aktenberge, die durcheinander geraten und mitsamt den Puppen vom Tisch rutschen. Eh man sich‘s versieht, bekommt jede der Figuren ein Eigenleben, das sie auf präzise Weise charakterisiert.

Es ist die große Kunst des Weglassens, des Understatements. Und halt schon auch eine starke Geschichte. Vogt, der Spieler, und Torbahn, der Puppenentwerfer und Regisseur haben Vertrauen in den Plot des Romanfragments, und sie glauben nicht, Kafka verbessern oder verbiegen zu müssen. Das macht die Sache doppelt sympathisch.

Fazit nach diesem knapp anderthalbstündigen Abend: Es ist doch nicht alles Ramsch, was der neue Salzburger Schauspielchef einkauft.

Heute Montag und am Dienstag (20./21.8.) ist die Produktion im Schauspielhaus Salzburg nochmal zu sehen, jeweils um 19.30 Uhr – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Wolfgang Lienbacher