Von Lust und Unlust

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / HEINZ HOLLIGER

22/08/12 Auf den Pulten: Die Noten von Mozarts „Gran Partita“. An den Pulten: Bläser und ein Kontrabass der Wiener Philharmoniker, die dieses Stück – natürlich – wundersam zu spielen verstünden, wenn man sie nur ließe. Aber am Pult: Heinz Holliger...

Von Reinhard Kriechbaum

Nun ist gegen Holliger als Mozart-Dirigent grundsätzlich absolut nichts einzuwenden. In einer Matinee bei den Festspielen hat er erst jüngst, mit dem Mozarteumorchester, die abgegriffene „Kleine Nachtmusik“ zu einer in Strukturdetails erhellten Perle aufpoliert. Doch am Dienstag mit den Bläsern der Wiener Philharmoniker: Da hat einfach die Chemie überhaupt nicht gestimmt. „Dienst nach Vorschrift“ könnte man das nennen. Berückende Soli immer wieder – aber auf der anderen Seite im Tutti (dort, wo es letztlich auf die ordnende Hand des Dirigenten ankommt) ein lustloser Schlendrian. Klanglich indifferiert, oft entschieden zu basslastig, Kickser in den Klarinetten und manch stolpernde Übergänge. Die Musiker haben in diesen fünfzig Minuten den spürbar ungeliebten, lieben alten Herrn am Pult einfach anrennen lassen.

Das ist freilich unfair dem Publikum gegenüber, das zu diesem Zeitpunkt schon mürbe gesessen war. Man war schon in der dritten Konzertstunde! Den Beginn hatte Holliger nämlich zu eine „Musical lession“ genutzt und sein Publikum gleich 35 Minuten lang eingeführt in Alban Bergs Kammerkonzert für Klavier und Geige mit 13 Bläsern aus dem Jahr 1927. Für Holliger eines der Schlüsselwerke im 20. Jahrhundert, mit entsprechender Begeisterung, mit ansteckendem Charisma hat er erzählt von den in Buchstabenfolgen verschlüsselten Namen oder dem Adagio-Trauergesang auf Mathilde Schönberg. Die Zemlinsky-Schwester war nicht nur Arnold Schönbergs Gattin, sondern auch Geliebte des Malers Richard Gerstl. Dass Schönberg die beiden in flagranti ertappt hat, endete mit dem Selbstmord Gerstls.

Das sind nun alles interessante Dinge, aber es war schon fraglich, ob das Publikum am heißesten Tag dieses Augusts um 18 Uhr im Mozarteum das alles wirklich so genau hat erfahren wollen. Die Wiedergabe des mit vielen Tonbeispielen aufgeschlüsselten Werks: Pulsierend vorangetrieben von dem Geiger Thomas Zehetmair, mysteriös-leise koloriert von Alexander Lonquich am Klavier, mit viel Charme ausgestattet vom Orchester, das sich mit Holliger hier eindeutig auf einer Linie getroffen hat. Die Walzer-Anklänge, die Zitate – das bringen die Wiener Philharmoniker eben wie kein anderes Orchester heraus. Ich gebe aber zu, dass nach fünf Viertelstunden im heißer werdenden Saal mein Hörvernögen an ein Ende gekommen war – und es mögen die vielen, vielen Noten des „Rondo ritmico“ auch die Musiker ein wenig hergenommen haben. Deutlicher Charme-Verlust jedenfalls im dritten Satz.

Eigentlich wäre eine Holliger-Uraufführung angesagt gewesen, aber das Werk wurde nicht fertig. Also Kammermusik neuesten Datums: Gustav Friedrichsohns Bicinium für Violine und Viola „From Darkness on a Shadowed Path“ wurde erst vor einer Woche am selben Ort uraufgeführt, nun spielten es Thomas Zehetmair und Ruth Killius nochmal. Heinz Holligers Stück für Flöte solo „(é)cri(t)“ hat Walter Auer Möglichkeit zu den tollkühnen Lagen-Sprüngen bei vollendeten Legato gegeben. Das will so erst gespielt sein. Und klanglich ganz wundersam subtil: „pour Roland Cavin“, Holligers Klagegesang auf den verstorbenen Musikerfreund, für Piccoloflöte, Flöte und Altflöte. Wolfgang Zuser, Walter Auer und Dieter Flury stellten sich sinnlich diesem raffiniert gesetzten Stück, das zwischen weit gespreizten Zusammenklängen bis zu ganz dichten, kleinräumigen Harmonie changiert.

Manch Gutes also auch an diesem musik-satten Abend mit drei Stunden und zehn Minuten Gesamtdauer. Beim Programmieren sollte man freilich vorher drüber nachdenken, ob sich so ein Marathon für die Zuhörer als Ganzes wirklich lohnt.

Bilder: SF / Wolfgang Lienbacher