Ein Gehege im spirituellen Menschenzoo

FESTSPIELE / SH?MY?

22/07/13 Buddhistische Ritualgesänge als Quelle, Wurzel, archaische Erfahrung oder befremdliche Wunderkammer? Der erste Auftritt des Der japanischen Priesterchors Kary?binga Sh?my? Kenky?kai bei der ließ einen auch ins Grübeln kommen.

Von Erhard Petzel

084Für die Ouverture spirituelle mischt man heuer auch Konzertliteratur mit Riten, deren Gestus prinzipiell nicht im Sinne einer Aufführung verstanden sein will. Das ist einerseits sehr verdienstvoll, weil lehrreich und spannend. Es ist ein Blick in die Welt in ihrer mystischen Vielfalt, gemischt mit einem Hauch Sensation, etwas wissenschaftlicher Vermittlung, neuer Anregung. Es bringt ein erweitertes Verständnis für Ausdrucksformen allgemein.

Andrerseits kommt auch die peinliche Erinnerung an Menschenzoos während historischer Weltausstellungen in der Spätzeit des Kolonialismus hoch, deren Impulse auf unsere Kulturentwicklung unbestritten sind.

Derfen’s denn des? Es stellen sich Fragen nach Menschenwürde und der Kommerzialisierung von Zeremonien. Wer allerdings tanzende Derwische in der Türkei in seinem Urlaubsprogramm erlebt hat, ist unter Umständen bereit, diese Vorbehalte als typisch für unsere Auffassung von Kultur und Religion zu sehen und weiter nicht hinterfragen zu wollen.

083Der japanische Priesterchor Kary?binga Sh?my? Kenky?kai unter Y?sh? Kojima präsentierte Buddhistische Ritualgesänge der japanischen Shingon-Schule auch unter dem Gesichtspunkt, dass tradierte Kunst und Riten in der eigenen Heimat wieder mehr geschätzt würden, wenn sie auswärts auf Interesse stoßen. Dementsprechend erfreut zeigten sich die Mönche ob Zulauf und Zuspruch und verteilten zum Schluss strahlend die Papierblumen ans Publikum, die über die durchgeführte Zeremonie ebenfalls gereinigt und gesegnet waren.

Die Leute hatten also im dafür wunderbar tragenden Sakralraum der renovierten Kollegienkirche einer symbolischen Lesung des Großen S?tra von der transzendenten Weisheit beigewohnt und damit einer Meditationszeremonie mit Sh?my?-Ritualgesang namens Dai Hannya Tendoku‘e. Symbolisch, weil der Text der vorgetragenen S?tra (wegen der vom chinesischen Festland übernommenen Sprache für eine japanische Gemeinde unverständlich) auf Überschriften und Kernaussagen gerafft wurde.

Überraschend turbulent geht es während der drei rituellen Lesungen zu: Jeder Mönch schreit seinen Text laut in den Raum, während er malerisch seinen Leporello mit der S?tra auf und zu faltet. Auch sonst bietet der Ritus Eigentümliches und Ungewöhnliches. So gehören zu Schneckenhörnern, Glocken, Gongs und Rasselstab auch die klappernden Holzschuhe der Mönche zur Klangkulisse. Die übrigen Gesänge zu Sanskrit-Hymnen, Auf- und Anrufungen, Preislieder, Mantras und Gebete werden einstimmig chorisch und solistisch, im Wechselgesang und in überlagernder Polyphonie durchgeführt.

Der Gesang der darauf trainierten Mönche erinnert an eine eigenartige Mischung aus Ruf, Gregorianik, Obertongesang-Jodler und Muezzin. In gelassenen Bögen wird der Ton im Regelfall von unten angesetzt, auf erzielter Höhe gehalten, dann nach Bedarf mit einem zweiten Ton verbunden, in Verzierungen aufgelöst, mit Gutturallauten oder auch im einfachen Ausschwingen abgeschlossen. Die Instrumente strukturieren und akzentuieren den Ablauf. Das füllt einen gefestigten Klangraum mit überraschenden Nuancen und Tiefen.

Es empfiehlt sich der Erwerb des sehr informativen Programmheftes, wegen der profunden Einführung von Heinz-Dieter Reese und nicht zuletzt wegen der Anschauung der alten Notenschrift. Man darf sich auf spannende Auseinandersetzung in den folgenden Darbietungen freuen.

Heute Montag (22.7.) um 21 Uhr in der Kollegienkirche: TOSHIO HOSOKAWA • „New Seeds of Contemplation“ von dem japanischen Gegenwartskomponisten Toshio Hosokawa, für Sh?my?- und Gagaku-Ensemble (1986/95), kombiniert mit traditioneller Gagaku-Musik.
Am Dienstag (23.7.) um 20.30 Uhr treffen in der Kollegienkirche die Cantori Gregoriani di Cremona mit Gregorianischem Choral auf ihre “Kollegen“, den japanischen Priesterchor Kary?binga Sh?my? Kenky?kai. - www.salzburgerfestspiele.at
Bild: SFS / Silvia Lelli