Romantik a cappella

FESTSPIELE / BALTHASAR-NEUMANN-CHOR

23/07/13 Eine „Nachtwache“ besonderer Art: Thomas Hengelbrock und sein Balthasar-Neumann-Chor präsentierte zusammen mit Rezitatorin Johanna Wokalek ein von ihnen hinlänglich erprobtes Konzept nun auch in Salzburg.

Von Horst Reischenböck

089Unbeantwortet die Frage: Wie passte dieses Programm, eigentlich Mehrfachverwertung einer schon vor zwei Jahren mit exakt gleicher Reihenfolge produzierten CD, in die seitens des Intendanten erdachte, „spirituell“ ausgerichtete Festspiel-Schiene? Der Balthasar-Neumann-Chor ist damit gerade auf Tournee.

Eine „Nachtwache“ also, und ein Schelm dem dazu einfiele: Nachtwachen traten nicht mal im Winter schon um 18 Uhr ihren Dienst an, und schon gar nicht im Sommer bei sommerlich derart brütenden Hitzegraden, die am Montag (22.7.) im Großen Saal des Mozarteums prompt im Publikum auch Opfer forderten…

Aber der Titel betraf ja in der Hauptsache nicht die Tätigkeit, sondern bezog sich vielmehr auf zwei Gedichte von Friedrich Rückert. Eigentlich depressive Texte, deren zweiter zumindest das Horn anruft. In Noten gesetzt wurden sie durch Johannes Brahms, dem mit einem halben Dutzend an Kompositionen der Löwenanteil am Ganzen zugebilligt war. Beide stehen am Beginn des op. 104, das auch irgendwie Brahms’ Resignation angesichts des nahen Lebensendes spiegelt.

Mit der gleich zu Beginn gesungenen „Waldesnacht“, der später noch „All meine Herzensgedanken“ desselben Opus 62 nachgereicht wurden, hatte er ein großartig verinnerlichte Stimmung zum Ausdruck bringendes Werk geschaffen. Wie es ihm überhaupt schon früher, etwa im „Abendständchen“ aus op. 42, gelungen war, eine einsam monotone Flötenmelodie bei abendlichem Brunnenrauschen umzusetzen.

Auch Brahms’ unmittelbarer Vorbilder wurde innerhalb der Eineinviertelstunden gedacht. So etwa Felix Mendelsohn Bartholdys mit den Joseph von Eichendorff-Vertonungen „Morgengebet“, „Abschied vom Walde“ und einem zündenden „Jagdlied“. Denen wurde Schwester Fanny Hensels „O Herbst“ nachgereicht.

Dazwischen vier Gedichte von Heinrich Heine und Clemens Brentanos „Zu Bacharach am Rheine“, gesprochen von Burgtheatermitglied Johanna Wokalek, dazu passten die Vertonung der „Loreley“ von Friedrich Silcher, Robert Schumanns „Meerfey“ op. 69/5 und, in grandios aufhorchen machendem Satz, „An die Sterne“ und „Ungewisses Licht“ op. 141/1 & 2. Dazwischen seiner Gattin Claras „Gondoliera“.

Nebst Edvard Griegs „Pfingstlied“ aus seiner Bühnenmusik zu Henrik Ibsens Schauspiel „Peer Gynt“ zuletzt auch noch selten Gesungenes: Raritäten wie Max Regers „Nachtlied“ und das von Josef Rheinberger aus dem Lukas-Evangelium gezogene „Abendlied“ schlugen gedanklich verbindend wieder den Bogen zum Anfang zurück, ehe die berühmte, von Johann Abraham Peter Schulz ersonnene Melodie zu Matthias Claudius’ „Der Mond ist aufgegangen“ zart nachklang. Freilich zeitlich leider viel zu früh, um diesen im Anschluss daran auch bereits voll prangend am Himmel sehen zu können.

Wie Dirigent Thomas Hengelbrock seine Vokalisten differenziert artikulieren und sie dem Textinhalt nachspüren ließ, war auch beim zweiten Festspielauftritt erneut ein Erlebnis. Vollkommen homogen, dabei durchsichtig in den jeweils geforderten Gruppierungen, präsentierte sich der Balthasar-Neumann-Chor als ein Ensemble der Spitzenklasse. Einfach ein Genuss, ihm zu lauschen. Entsprechend begeistert wurden alle Beteiligten gefeiert.

Um nicht zusehr aufzufallen, heißt das Programm, das man am 27.7. im Wolkenturm von Grafenegg hören lässt, "Hymnen an die Nacht", ebenfalls mit Johanna Wokalek als Rezitatorin - www.grafenegg.com
Die CD zum Konzert: www.thomas-hengelbrock.com
Bilder: www.thomas-hengelbrock.com / Karl Forster (1); Joachim Gern (1)