Die Familie ist stärker als die Konkurrenz

FESTSPIELE / HINTERGRUND / EL SISTEMA

24/07/13 „Drei Proben zu genau je zwei Stunden, strenge Dienstpläne, lauter ältere Leute – das ist schon eine Umstellung, wenn man erstmals ein europäisches Orchester dirigiert. Bei uns in Venezuela beginnen die Proben auch pünktlich. Aber sie hören erst auf, wenn wirklich alles aufführungsreif ist.“

Von Heidemarie Klabacher

106Die drei jungen Dirigenten, die in den nächsten Tagen mit Jugendorchestern aus Venezuela ihr Festspieldebüt geben werden, sind allesamt „Kinder“ des legendären Musik- und Sozialprojekts „El Sistema“. Mehr noch: Diego Matheuz, Christian Vásquez und Dietrich Paredes sind Schüler des Gründers José Antonio Abreu. Sie gehören bereits der Generation „nach Dudamel“ an und haben ihrerseits bereits erste Schritte auf dem Weg zu internationalen Karrieren getan. Tatsächlich sei „El Sistema“ ein Sozialprojekt, das aber auch Spitzentalente fördert, betonte Florian Wiegand, der Konzertchef der Festspiele, der das Gespräch mit den drei jungen Dirigenten heute Mittwoch (24.7.) auf der Presseterrasse moderierte.

Für alle drei ist „El Sistema“, das ganz Venezuela umspannende Netz von Musikschulen und Orchestern, „Familie und Gemeinschaft“, aber auch geistige Heimat und Lebensstil: „Für keinen von uns dreien wäre es möglich gewesen, ohne El Sistema, Musik zu machen, oder gar an die Spitze zu kommen, so dass wir nun in Salzburg bei den Festspielen dirigieren“, sagte Diego Matheuz. Alle drei seien sie von Kindheit an im 104Sistema aufgewachsen, ergänzen Christian Vásquez und Dietrich Paredes: „Wir verdanken El Sistema nicht nur die Musik, sondern unseren ganzen Lebensstil. Es ist ein Leben, in das wir hineingewachsen sind.“

Ihn habe sein Vater den Impuls gegeben, der ihn ins Sistema gebracht hat und zur Geige greifen ließ, erzählte Matheuz. Irgendwann einmal habe ihn José Antonio Abreu beim Musizieren erlebt, und zu ihm gesagt, er solle es einmal mit dem Dirigieren probieren: „Er hat einen sechsten Sinn, Talente zu finden.“

Vásquez ist seit seinem achten Lebensjahr im Sistema, er hat wie alle im Orchester begonnen, aber sehr bald das Jugendorchester in seinem Dorf geleitet. Bei einem Konzert in San Sebastian war José Antonio Abreu anwesend: „Der hat gesagt: Ruf mich an. Ich möchte, dass Du mein Schüler wirst.“ Ähnlich ist die Geschichte von Paredes: Er hat im ‚Nucleo’ (der Musikschule) eines Armenviertels im Süden von Caracas begonnen, Workshops für Dirigieren besucht – und ebenfalls den Sistema-Gründer kennen gelernt.

Alle drei bewundern José Antonio Abreu nicht nur für sein unermüdliches Engagement, sondern auch dafür, dass er sie auch auf die Anforderung einer Karriere im „Westen“ bestens vorbereitet habe: etwa auf das „Proben nach Dienstplan“ in europäischen Orchestern (das 105Vásquez 2008 erstmals in Paris erlebt hat) oder die deutlich kleineren Orchesterbesetzungen.

„Wenn man plötzlich nur mehr 16 erste Geigen statt 26 vor sich hat, ist das schon sehr seltsam. Wenn man mit kleinerem Orchester arbeitet, versucht man, alles herauszuholen, damit der Klang wieder voll wird“, so Christian Vásquez. Das ist seiner Heimat die Konzertsäle selbstverständlich baulich vergrößert werden, weil auch die Sistma-Orchester ständig wachsen, ist ein Aspekt, den Dietrich Paredes anschaulich zur Sprache bringt: „El Sistema ist ein Sozialprojekt – und es wollen einfach alle miteinander auftreten.“ Diego Matheuz ergänzt: „Abreu hat uns gelehrt, dass es auf der Welt Platz für alle gibt.“ Da ist zugleich auch die Antwort auf die Frage nach der Konkurrenz untereinander – und gilt auch für den begrenzten Platz auf dem Dirigentenpult.

El Sistema bei den Salzburger Festspielen 2013:
Auftakt ist heute Mittwoch (24.7.) mit Gustavo Dudamel und dem Simón Bolívar National Youth Choir of Venezuela.
Diego Matheuz und Christian Vásquez dirigieren morgen Donnerstag (25.7.) das Teresa Carreño Youth Orchestra of Venezuela. Dietrich Paredes dirigiert am Sonntag (28.7.) das Youth Orchestra of Caracas - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS/Nohely Oliveros