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Hans Sachsens Reise nach Liliput

FESTSPIELE / MEISTERSINGER

04/08/13 Schusterwerkstatt, Komponierstube und Esszimmer von Hans Sachs ziehen sich quer über die ganze Bühne. Die Muse hat dem Komponisten einen Keulenschlag verpasst. Wie wild füllt er - in Nachthemd und Zipfelhaube -  Notenblatt um Notenblatt. Endlich: Erleichterung, Erschöpfung, Vorhang... Michael Volle ist der überwältigende Hans Sachs in der Inszenierung von Stefan Herheim.

Von Heidemarie Klabacher

430Auf diesen Vorhang wird nun das gesamte Bühnenbild projiziert. Der Komponier-Schreibtisch wird herangezoomt, wird größer und größer. Der Vorhang öffnet sich: Der schnörkelige Schreibtisch-Aufsatz ist zur Orgel-Empore der Katharinenkirche zu Nürnberg geworden. Die Bücher, die in der Fensternische neben dem Schreibtisch standen, werden nun als Treppen verwendet, das spitzbogige Fenster wurde zur Kirchenfassade…

Die Bürger von Nürnberg, winzigklein gedacht müssen sie also werden, packen gerade ihre Gesangbücher ein. Schwatzen noch ein wenig auf den Stufen, freuen sich in Anwesenheit ihrer Meistersinger auf das Johannisfest - und erleben den ersten öffentlichen Auftritt des strahlenden Fremden, der in privaten Nürnberger Kreisen bereits erste gesellschaftliche Erfolge zu verbuchen hat.

431Dieses Zoomen - das ist mehr als nur ein raffinierter Regieeinfall Stefan Herheims und mehr als nur ein hinreißendes Bühnenbild von Heike Scheele: Die raffiniert imaginierte Verkleinerung des Nürnberger Großbürgertums auf Spielfiguren-Maß setzt die scheinbar so betuliche altväterisch biedmeierliche Inszenierung gleich einmal unter das Generalvorzeichen der Ironie: Sofort fallen einem Jonathan Swift, der englische Satiriker, und sein Romanheld Guliver ein.

Dieses Werk kennt man hierzulande eher in der zweiteiligen Kinderfassung mit Gulivers Reisen zu den Zwergen und zu den Riesen. Das englische Original aus 1726 ist freilich eine Gesellschaftskritik die an Schärfe und Bosheit bis heute kaum zu überbieten ist. Wenn die Nürnberger Meister dem dahergelaufenen Ritter und Sänger Walter von Stolzing ihre Regeln zur Dichtung und Komposition vorleiern, erinnert das haarscharf an die absurden Gesetze im Kaiserreich Liliput…

432Aber wie gesagt: Bei diesen Meistersingern muss der Zuschauer allfällige ironischen oder gar kritischen Gedanken schon selber mitbringen ins Große Festspielhaus. Stefan Herheim und sein Ausstattungsteam zeigen an der Oberfläche eine heile Welt, in der höchstens ein wenig Eifersucht und Neid – aber auch nicht mehr als sonst wo – die reine Vorfreude auf das große Fest trüben. Die Puppenstuben-Imagination gibt dem Ganzen zusätzliche Niedlichkeit.

Wir erinnern uns: Ansteht in Richard Wagers „Die Meistersinger von Nürnberg“ das große Johannisfest mit Gesangswettbewerb, dessen Sieger des Meistersingers Veit Pogners Tochter Eva erringen soll - vorbehaltlich ihrer Zustimmung. Ein Meistersinger freilich muss es sein. Der alte Beckmesser will sich bewerben. Der junge und edle Junker Walter von Stolzing hat bei Eva die besseren Karten, muss aber in nur einer Nacht die starren Regeln der Meisterdichtung lernen. Hans Sachs ist der große Vermittler und ein würdiger Vertreter des gesunden Menschenverstandes.

433Das Bühnenbild der Johannisnacht, in der Sixtus Beckmesser die störrische Jungfer Eva mit einem Ständchen erobern will, entsteht ebenfalls durch Zoomen: Aus dem Werkzeugkasten wird nach der „Vergrößerung“ Hans Sachsens Haus und Werkstatt, aus der Kommode das Bürgerhaus Pogner. Den Crashkurs in Sachen Meistergesang für Walter von Stolzing hält Hans Sachs in quasi normalen Dimensionen. Für das Schlussbild wird das Regal mit Büchern und Spielzeug (Ankersteinbaukasten als Leitmotiv) ins Riesenhafte vergrößert.

Das ist alles konsequent gedacht und gemacht, und mit größter Genauigkeit in der Personenführung erzählt. Dass Hans Sachs sich über väterliche Zuneigung hinaus zu Eva hingezogen fühlt und Eva tatsächlich den alten Sachs als Gatten in Erwägung gezogen hat (vor Walters Auftreten freilich) wird mit größter Delikatesse herausgearbeitet.

Wie der alte Sachs das Ständchen des Sixtus Beckmesser durch Schläge mit seinem Schusterhammer stört, ist hinreißend komisch, ohne je die Grenze zum Klamauk zu überschreiten. Die Prügelei, die aus der nächtlichen Lärmbelästigung erwächst, artet zu einer recht herzigen Orgie von Schneewittchen, Froschkönig  und Co. aus, die aus dem herumstehenden Grimm’schen Märchenbuch herauskommen. So hat fast jedes Versatzstück mit diesem Changieren zwischen Realität und Imagination zu tun. Im ersten Bild war es das Buch „Des Knaben Wunderhorn“, dessen Deckel ein Tor zum Reich der Phantasie aufstießen.

435Viel zum Schauen also im Großen Festspielhaus, viel zu Dechiffrieren. In der Mitte des Bühnenbildes stehen Büsten großer Deutscher Meister. Gegen Schluss krönt Hans Sachs die Büste Wagners, nachdem er den Kranz zunächst beinahe wie unter Zwang sich selbst aufgesetzt hätte. Im Schlussakkord rammt er sich den Dichterlorbeer in Diktatorenmanier dann doch noch selber aufs Haupt: Da kann man dann – man ist ja darauf konditioniert, in solchen Bahnen zu denken – herauslesen, dass Herheim an einen anderen deutschen Diktator gedacht hat, der auch die „Deutschen Meister“ sehr geschätzt hat. Kann man, muss man aber nicht. Man darf sich genauso gut am bunten Biedermeierfest erfreuen.

Daniele Gatti leitete die Wiener Philharmoniker. Auf meinem Platz – Loge vorne – hörte man gut fünf Stunden lang einheitlich kräftigen, übersichtlich geordneten Wagner, ohne rechte Differenzierungen. Den Sängerinnen und Sängern wurde immer Luft und Raum gegeben.

434Michael Volle ist der sängerisch und darstellerisch überwältigende Hans Sachs, Spielleiter und Menschenführer mit - möglicherweise gefährlich starkem – Charisma. Roberrto Saccà als Walter von Stolzing ist der strahlende Held dieser Produktion. Er gebietet über eine reiche timbrierte Tenorstimme mit sicherer Höhe und überzeugend textdeutlicher Deklamation. Georg Zeppenfeld ist ein würdevoller – stimmlich ebenfalls souveräner – Veit Pogner. Markus Werba als Sixtus Beckmesser ist eine Klasse für sich, ein eitler eifersüchtiger Intrigant, ein tragischer Antiheld, der seine sängerischen „Querstände“ mit Stolz zu zelebrieren, Peter Sonn ein charmanter David, der die Meisterregeln mit warmer Stimme herzubeten weiß. Die wenigen Damen – Anna Gabler und Monika Bohinec als strahlender Unschuldsengel Eva und kernige Magdalene - sind ebenso überzeugend wie die Riege der Meistersänger. Eine Aufführung, die man sofort noch einmal sehen möchte, um weitere Details zu entdecken.

Aufführungen bis 17. August - www.salzburgerfestspiele.at
Rundfunkübertragung am 10.8., 19.30 Uhr, Ö1
Bilder: SFS / Forster

 

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