Die Liebe? Funktioniert eh…

FESTSPIELE / YDP / ROMEO UND JULIA

12/08/13 Da hat einer stolze 31 werden müssen, um etwas wirklich Essentielles zu entdecken: Die Liebe zwischen zwei Menschen funktioniert immer und immer wieder! Egal, ob jung oder alt, ob im Orient oder Okzident, ob im Krieg oder im Frieden.

Von Reinhard Kriechbaum

177Die Rahmenbedingungen scheinen piepegal zu sein. Hauptsache, die Chemie zwischen den beiden stimmt (wenn’s denn Chemie ist). Und: Sollten die einschlägig zuständigen Verbindungen und Moleküle mal ernsthaft durcheinander geraten, renkt sich die Sache trotzdem oft wieder ein. Auf die Wirkkraft des Sehnsuchts-Bonus kann sich die Liebe nämlich verlassen.

Intellektueller Treffer auf Breitseite also im neu ausgerufenen Gedanken-Biedermeier des Young Director’s Project bei den Salzburger Festspielen. Das Publikum muss Böses geahnt haben und ist gleich gar nicht erst gekommen zur Premiere. Knapp die Hälfte freie Plätze im „republic“ – so viel offenkundiges Desinteresse wie für „Romeo und Julia“ in der Lesart des irakisch/niederländische Theatermachers und seines Antwerpener Toneelhuis gab’s in elf Jahren nicht. Die Reihe ist imagemäßig heruntergewirtschaftet wie nur.

Ehrlicherweise hat der 1982 in Bagdad geborene Mokhallad Rasem über „Romeo und Julia“ drübergeschrieben „nach Shakespeare und anderen“. Ein solcher Stücktitel weckte ja ganz bestimmte Erwartungen. Die von außen fatal behinderte Liebe wäre das Thema, inhaltlicher Minimalkonsens. Auf das Ende mit Schrecken täten wir notfalls pfeifen. Aber ein solches wird uns hier ohnedies erspart, von Anfang an.

178Freilich: Da steht auf einer Mini-Drehscheibe ein weißer Rover mit Aufschrift „UN“. Sechs Menschen tragen Gasmasken. In immer wieder neuen Standbildern drücken sie ihre Sehnsucht nach körperlicher Nähe aus. Man streichelt, umarmt einander, bis es wieder blitzt und stockdunkel wird. Das geht zehn Minuten so dahin. Dann ist der Krieg vorbei, ein Tanzpaar ist dran, das seine Liebe als Pas de deux, als choreographisches Händering-Theater sondergleichen zu Musik von Prokofjew zelebriert. Diese getanzte Liebe überdauert auch einen Verkehrsunfall.

Facette drei: Ein älteres Paar im Auto. „Stop“, schreit sie aus dem Autofenster, „Der Tod kennt niemanden“, er mache keine Unterschiede zwischen den Menschen. „Die Liebe kennt niemanden“, korrigiert der Mann begütigend, und man erzählt sich kurz mal den Plot des Shakespeare-Stückes. Lerche oder Nachtigall? Was versteht unsereiner schon von Ornithologie.

179Und so plätschert das also 75 Minuten lang dahin. Die beiden alten Leutlein, das Tanzpaar, zwei kleine Kinder: die Lebensalter also. Alle Lieben. Aber keine unerlaubte Liebe zwischen den Generationen, und schon gar keine zarten Homo-Bande: Die amouröse Welt ist bei Mokhallad Rasem schwer in Ordnung. Familiäre Szenen beim Betrachten eines Albums: Lauter Julias und Romeos, die ihre Träume (als Schauspieler, Tänzer) umsetzen konnten oder auch nicht. Hauptsache, das Lieben haben sie nie verlernt.

Irgendwann dreht der Alte durch, will sich davon machen, ausbrechen aus der Zweisamkeit. Die Liebe sei verdorrt. Er beschimpft die Frau wüst, sie zeigt sich verwundert, und am Ende versöhnlich. Heißen die Montaguets und Capulets unserer Tage Selbstbestimmung und Ich-AG? Sitzen die verfeindeten Sippschaften in unseren Köpfen? Mag sein, dass Mokhallad Rasem und seine Leute vom Antwerpener Toneelhuis, die bei der Stückentwicklung angeblich alle mitgedacht und zumindest mitgeredet haben, auch davon erzählen wollen.

Wenn’s gar zu banal wird, rettet man sich in deklamierte Poeterei, seltener Shakespeare, manchmal arabische Literatur (alles verniederländischt mit deutschen Übertiteln). Zuletzt wird der Rover auseinandergeklappt, ein kleines Matratzenlager entsteht. Opa liest der Kleinen aus dem Bilderbuch vor, und erzählt von Endophoinen, Testosteron und was sonst noch alles der Liebe Flügel und Saft verleiht. Oma hebt ab und sehnsüchtelt nochmal so richtig nach Zweisamkeit. Licht aus, Ende.

Wäre da nicht eine Delegation junger Leute als Blumen-auf-die-Bühne-Werfer und Claqueure eingeteilt gewesen, wer weiß, wie schnell der Beifall verebbt wäre.

Weitere Aufführungen am 12., 13. und 14. August im „republic“ - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Wolfgang Kirchner