Von den weiten ewig-christlichen Jagdgründen

FESTSPIELE / VERDI-REQUIEM / MUTI

16/08/13 Der letzte Wunsch eines aufrechten Christen mit Faible für Musik? Vielleicht dieser: Der Himmelvater möge doch El?na Garan?a an den Lichtschalter stellen und sie darüber wachen lassen, dass keiner jemals wieder ihr „Lux aterna“ abdreht.

Von Reinhard Kriechbaum

191Ein freundlicheres, wärmeres, durch und durch wohliges Ewiges Licht ist jedenfalls nicht denkbar, als es El?na Garan?a in Salzburg, in Verdis Requiem verströmen lässt. Da mag der Bass (Dmitry Belosselskiy) nochmal mit den Posaunen im Rücken eine gewisse Schwärze auf die Worte „Requiem aeternam dona eis“ zelebrieren und das Vokaltrio im folgenden A-cappella-Abschnitt gar intonationsmäßig ein klein wenig schräg hängen: Von der Garan?a hochgehoben sieht man wohlig und voll Gottvertrauen dem leuchtenden Lux perpetua entgegen. Auch wenn die Kontrabässe noch ein paar bedrohliche Pizzikati absondern, die Riccardo Muti recht auffällig rausklingen lässt.

Riccardo Muti also, das Verdi-Requiem, die Wiener Philharmoniker, Ferragosta und Salzburg: das zu erwartende Gesamtkunstwerk. Da wurde diesmal sogar der Orchestergraben bestuhlt, was gut hundert zusätzliche, teure Sitzplätze bringt. Die musikalischen Protagonisten sind mitsamt der Konzertmuschel dafür ein Stück nach hinten gerückt. Vielleicht klang deshalb das Verdi-Requiem, von Reihe 16 aus gehört, als Ganzes dynamisch ein wenig zurückhaltender als erwartet. Aber positiv gesagt: Ein betörenderes Mezzoforte als die Wiener Philharmoniker entfaltet nun wirklich kein anderes Orchester an diesem Ort, und für Muti haben sie wieder alles, wirklich alles an Tonschönheit gegeben.

190Muti sucht nicht nach der instrumentalen Tiefenschärfe, doch vieles hat sich an diesem Abend einfach ergeben, weil die Philharmoniker von sich aus so mit beteiligt - auch mit kammermusikalischem Spürsinn - musiziert haben. Die feinen Klangeffekt von Trommel und Pauke im Lacrimosa-Abschnitt des Dies irae, das hört man nicht so oft plastisch heraus.

Das Requiem war sängerisch charismatisch, bemerkenswerterweise nicht „italienisch“, sondern durchwegs slawisch besetzt. Und da wiederum mit einem deutlichen Hang zum Lyrischen. Wundervoll, wie die Stimmen von Krassimira Stoyanova und El?na Garan?a im Agnus Dei verschmolzen sind, wie sie dann mit den Flöten amalgamierten. Krassimira Stoyanova ist keine, die das „Libera me Domine“ am Ende mit weiß Gott viel Effekt röhrt, und gerade da hat sie auch in der Tiefe nicht viel Durchschlagskraft. Ihre Stärke sind die leuchtkräftigen Höhen, die ja im Zusammenklang mit dem Frauenchor gerade hier auch wichtig sind. Piotr Beczala ist dem ausgeprägten Sinn für die geschmeidige Lyrik zu hundertfünfzig Prozent gerecht geworden, und auch dem Bass Dmitry Belosselskiy schienen die geschmeidigen Linien näher als das theatralisch-heftige „Mors stupebit“, mit dem er sich ins Dies irae einführt.

Aber weil wir gerade beim Theater sind: Fürs „Rex tremendae“ hieß Muti die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor nicht vorher artig aufstehen, sondern ließ die Mannen mit dem ersten Ton jäh aufspringen. Es muss, bei aller Schönheit, eben auch vieles Show sein zu Ferragosta. Das Publikum, das solches erwartet und erfahrungsgemäß gerade zu diesem Anlass rasch nervös wird, lohnte es mit wenig Nebengeräusch in den leisen Teilen.

Das Sanctus: Meteorologen wüssten vielleicht besser als wir Musikjournalisten, wie man den Himmel korrekt beschreibt – jedenfalls viele kleine Wölkchen mit wundersam sanft tirilierenden Engeln darauf, herrlich einstudiert von Johannes Prinz. Mehr Archaik ist denkbar im Verdi von seiten des Chors, aber das will Riccardo Muti wohl nicht. Bei ihm steuert alles mit schlüssiger Ziel auf ein fried- und freudvolles Leben in den ewigen christlichen Jagdgründen hin.

Das Konzert wird am 17. und 18. August jeweils um 11 Uhr wiederholt, Direktübertragung am 18. August um 11.03 Uhr in Ö1 – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Silvia Lelli