Märchen mit Suspense

FESTSPIELE / SCHNEEWITTCHEN

16/08/13 Die Kinder „heutzutage“ sind ja einiges gewohnt vom Fernsehen oder vom Kino her. Die Premiere der Märchenproduktion „Schneewittchen“ – ein Gastspiel der „La Nouvelle Compagnie“ von Nicolas Liautard – war aber selbst für Erwachsene ein starkes Stück, das ganz ohne Wort auskam.

Von Heidemarie Klabacher

Es beginnt mit der Geburt der Prinzessin. Wir sind Augenzeuge, wie Schneewittchens Mutter bei der Geburt stirbt. Das Neugeborene, das die Hebamme noch zwischen den entblößten Beinen der Gebärenden hervorzieht, bewegt sich tatsächlich – und ist wahrscheinlich blutig und verschmiert. Aber das ließ der feine Gaze-Schleier, der die gesamte Produktion ins geheimnisvoll Diffuse rückt, denn doch nicht so genau erkennen.

Totenstill war es – von ersten bis zum letzten Bild. Das ist für eine Kinderproduktion außergewöhnlich, denn ein gewisser Lärm- oder Geräuschpegel ist auch bei aufmerksamem Publikum meist vorhanden. Nicht so am Donnerstag (15.8.) im Landestheater.

Fast alles in der Gastspielsproduktion der französischen „La Nouvelle Compagnie“ von Nicolas Liautard ist in ätherischem Weiß gehalten. Der Gaze-Vorhang dämpft die ohnen wenigen Farben.

Weißer Hintergrund, ein beinahe haarfeines Kreuz: Besuch des zum Kind herangewachsenen Schneewittchens und ihres Vaters am Grab der Verstorbenen: Ein reduziertes sprechend schönes Bild – aber keins, das man in einer Kinderproduktion erwarten würde.

Dann Schneewittchen als Jugendliche: Im weißen Kleidchen steht sie wie eine Fremde dem Vater und seiner neuen Frau gegenüber. Dann war die Prinzessin shoppen: Sie legt das weiße Kleid ab und schlüpft in ein ganz gewöhnliches blaues T-Shirt und einen kurzen silbrig glänzenden Minirock. Provozierend demonstriert der Teenager seine  vollendeten Formen vor der alternden Stiefmutter…

Dieses Schneewittchen ist keine „reine“ unschuldsvolle Märchenfigur, sondern trotz ihrer zur Feierlichkeit eines Rituals stilisierten Bewegungen ein moderner Teenager: Eine Jugendliche, die ihre zunehmende Reife und das Erwachen ihrer Sexualität ebenso auskostet, wie den Triumph der größeren körperlichen Schönheit.

Drastisch und wiederum märchenhaft archaisch in der Bildwirkung: Mit bloßen Zähnen verzehrt die Königin das, was sie für Schneewittchens Herz hat halten müssen. Der Jäger hat es in die altmodische Waschschüssel plumpsen lassen. Die Königin kniet davor nieder, und neigt das Haupt… Ein Horrorfilm mit reichlich fließendem Blut kann nicht annähernd so erschrecken, wie dieses hochkultivierte Kannibalen-Mahl.

Und die Zwerge? Puppen sind es. Sie wuseln und plaudern, aber nur in Silben und Tönen, wie überhaupt in der gesamten Produktion kein einziges Wort gesprochen wird. Dafür gibt es lebendige Tauben, die das geheimnisvoll Schwebende des Ganzen verstärken und ein eher unmotiviert auftretendes leibhaftiges Pferd. Auch weiß natürlich.

Zwei weitere Aufführungen gibt es am Samstag und am Sonntag (17. und 18.8.) jeweils um 17 Uhr im Landestheater - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS/Wolfgang Kirchner