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Ich liebe meine Finsternis

FESTSPIELE / IL RITORNO DI TOBIA / HARNONCOURT

20/08/13 „Laut Bibel wird Tobit blind, weil ihm ein Sperling auf die Augen scheißt. Das ist natürlich nur ein Bild. Er wird blind, weil er nicht bereit ist, zu sehen.“ So Nikolaus Harnoncourt über die Tiefenpsychologie in Joseph Haydns erstem Oratorium „Il ritorno di Tobia“.

Von Heidemarie Klabacher

Bei der Aufführung des vergessenen Meisterwerks des „jungen“ Haydn aus dem Jahr 1775 gingen nicht nur dem erblindeten Tobit die Augen auf. Nikolaus Harnoncourt leitete das „Orchestra La Scintilla“ mit kompromissloser Transparenz. Wie mit dem Silberstift auf Porzellan gezeichnet wirkte das hochemotionale – und sängerisch hoch anspruchsvolle – Psychogramm einer jüdischen Familie in der Diaspora. Die überdimensionale Felsenreitschule war freilich nicht der akustisch optimale Rahmen für die subtile Wiedergabe der intimen Familiengeschichte.

Jetzt Tobit und Tobia nicht verwechseln. Der erblindete Tobit wartet mit seiner resoluten Gattin Anna auf die Rückkehr des Sohnes. Tobia ist (mit einem Undercover-Erzengel als Gefährten) nach Persien geschickt worden, um Geld zurückzuholen, das Tobit einem Stammesgenossen geliehen hat. Tobia kehrt gesund und munter zurück, mitsamt Geld, einem Heilmittel gegen Blindheit und einer jungen Ehefrau. So simpel der Plot, so komplex die Persönlichkeiten, so schillernd bis in die Harmonien und die Instrumentierung hinein ihre musikalischen Porträts.

Warum Tobit überhaupt erblindet ist (noch dazu nach einem so peinlichen Zwischenfall), erklärt auch die Bibel nicht. Und Haydns Librettist Giovanni Gastone Boccherini (ja, der Bruder des Komponisten) konzentriert sich ganz auf die Stunden vor der Heilung des Vaters durch den zurückgekehrten Sohn.

Eine zankende Ehefrau eröffnet das Oratorium. Hannah gießt einen Schmutzkübel voll Spott und Hohn über Tobit aus. Seine übermäßige Mildtätigkeit, vor allem sein krankhafter Zwang, die Verstorbenen zu begraben (Antigone lässt grüßen), seien schuld an seiner Lage: „Was haben dir deine guten Werke gebracht, außer den herben Früchten der Bitterkeit?“ Hat Haydn um 1775 das „einzig böse Weib“ aus dem Kanon schon leibhaftig gekannt? Die Altistin Ann Hallenberg sang die virtuosen sticheligen Koloraturen mit boshafter Lust.

In überwältigendem Kontrast dazu Tobits Antwort: Er entschuldigt Hannahs „krankhaften Zorn“ mit ihrer Angst um den abwesenden Sohn. Tobit weiß, dass Tobias zurückkehren wird, aber „Hannah hört mich nicht“. Man hält diesen Tobit ja selbst auch für einen selbstgerechten Eiferer, dem der Gott des Alten Testaments eine Lehre erteilen wollte. Aber Haydn ist da offensichtlich anderer Meinung: Tobits erste große Arie „Erhöre du mich, o Gott“ ist ein bewegender Gesang unerschütterlicher Hoffnung im Leid. Der Bassist Ruben Drole gestaltet die Rolle des Tobit mit profunder Tiefe und warmen Timbre und großer Darstellungskraft auch im Oratorium. Mit existentieller Angst wehrt Tobit sich gegen seine Heilung: „Die Augenlieder öffnen und leben kann ich nicht.“ Schwiegertochter Sara hilft ihm bei dem schmerzhaften Prozess, sich der Realität zu stellen.

Die chinesische Sopranistin Sen Guo leiht dem Erzengel Raphael ihre schlanke bewegliche Stimme. Die überirdischen Momente beschwört aber die Sopranistin Valentina Farcas als Sara, für die Land und Familie des Gatten geradezu himmlische Qualität haben. Haydn verstärkt in Saras großer Arie „Non parmi esser“ diesen Eindruck mit einem in der Musikgeschichte einzigartigen Bläser-Satz für Oboen und Englischhörner. Die Titelrolle des Tobia gestaltete Mauro Peter mit seinem strahlenden, auch in der Höhe immer weich gerundeten Tenor. Diesem handverlesenen Solisten-Quintett legen Nikolaus Harnoncourt und das „Orchestra La Scintilla“ einen facettenreichen musikalischen Klanggrund.

Der Chor hat in „Il ritorno di Tobia“ nicht viel zu tun, umso beredter, federnder und markanter meldete sich der Arnold Schoenberg im biblischen Lobpreis Chor zu Wort.

Das Orchester habe ihm, erzählte Harnoncourt dem Publikum, anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenmitglied des „Orchestra La Scintilla“, ein „Konzert geschenkt“. Ein „einzigartiges Geschenk“, das er als Benefizkonzert für Sarajevo weitergegeben habe: Der Reinerlös des Konzerts in der Felsenreitschule geht an multikonfessionelle Kindergärten und Schulen in Banja Luka und Sarajevo und die interkulturelle Musikschule in Srebrenica.

 

 

 

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