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Unser Leben oder das von anderen

FESTSPIELE / SUFI-GESÄNGE 1

21/07/14 Sufi, das ist, wenn im Gesang die Grenze zum eigenen Leben zerfließt und sich wie Wasser mit den anderen mischt. Zumindest formuliert das sinngemäß einer der Texte der Nacht. Obwohl als Konzert angekündigt, will dieser Begriff selbst für den Rahmen der Ouverture spirituelle nicht recht passen.

Von Erhard Petzel

Die zwanzig – zu einem erheblichen Teil jungen – Männer und Scheikh Salem Algazouly haben keine Scheu, ohne Show oder Zugeständnisse an ein Publikum ihr Ding durchzuziehen. Und das ist, zusammen zu kommen und zu musizieren, bis man seinen eigenen Bedarf an religiöser Entgrenzung abgedeckt hat. So, wie es die Herren eben drei Mal pro Woche zuhause praktizieren.

Es handelt sich auch um keinen Orden im strengen Sinn, sondern um Leute mit Beruf und Familie, die mit ihren Ritualen sicherlich mehr kontemplative Erfüllung finden als im Wirtshaus oder vor einem abgeschmackten Fernsehprogramm. Dass nur ausnahmsweise öffentlich auftreten, kam am Sonntag (20.7.) in der Kollegienkirche deutlich zutage.

Der Auftritt wird nicht zelebriert, lockere Vorbereitungen wie Auspacken der Instrumente, Abschalten des Handys, Weiterreichen von Texten, kurze Begrüßung des Sheiks. Später trinkt man Wasser, auch wenn der Vorsänger schon emsig singt. Die Männer stehen und sitzen im Kreis, Rücken zum Publikum. Erst zum angesagten Ende drehen sich alle um und nehmen freundlich Kontakt mit den applaudierenden Leuten auf.

Ein Fehlgriff der Festspiele? Wohl nicht, wenn man Programm außerhalb des Kunstmarktes akzeptiert; zudem erfreuen die Spieler von Nay, Oud, Quanun, Duff und Riqq mit der Fertigkeit auf ihren Instrumenten. Und der Weg an die Quelle ist überzeugend mit der Glaubhaftigkeit der frommen Sänger, unbeirrt vom Publikum im Rücken. Die gehören da her, wenn sie im Sakralraum aufgehen in der Trance ihrer Musik.

Stehend und sitzend schwankend und schwingend, ostinate Strukturen, rhythmisiertes Atmen bis zum Sufi-Rap, Rufe, Muezzin-artige Melodien und an Gregorianik erinnernde Call and Response, eine nach oben sich schraubende Wort-Apotheose auf Allah, Lieder im Stil arabischer Volksmusik und anspruchsvolle Instrumental-Intonationen im klassischen Stil.

Irritation im Publikum, inwieweit man die religiöse Handlung der Männer als solche zu begleiten habe. Für den kleineren Teil gilt, wenn aufgetreten wird, muss auch applaudiert sein. Ein Applaus-Solo nach einem zünftigen Instrumentalschluss wird umgehend erstickt, bevor es sich artikulieren kann.

„Du erfüllst mich, dass ich weine. Und ich spüre meine Vernunft und Gefühle nicht mehr“. Wie ist das für den Zuhörer erreichbar? Die da draußen haben leicht entrückt sein, die dürfen singen und sich bewegen. Ist der steif am Sessel klebende Hörer der Deplatzierte, voyeuristisch nicht wirklich ersatzbefriedigt? Der springende Punkt: Geh und geh aus dir heraus; singe selbst und suche mit anderen den Weg zur gemeinsamen Entgrenzung? Angesichts der dramatischen Gegenwart wird die Botschaft aus Ägypten für die Reisenden selbst auch existentielle Bedeutung haben. Wir hier leben in dem Luxus, uns die nächste Selbstverwirklichung im Festspielsommer zu kaufen.

Bilder: Salzburger Festspiele/Stefan Beyer

 

 

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