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Vollendeter Barock

FESTSPIELE / DIXIT DOMINUS

21/07/14 In atemraubender Schönheit und in sich ruhender Anmut erörtern The Monteverdi Choir, The English Baroque Soloists und John Eliot Gardiner die Tiefen barocker Spiritualität. Ein Abend der musikalischen Höhepunkte, der gelebten Liebe zur Musik und der Hingabe an Formen, Farben und Klänge.

Von Stefan Reitbauer

Nichts wird dem Zufall überlassen. Ausgiebigstes Stimmen in würdevoller Bedeutsamkeit des Vorgangs. So beginnt ein Konzertabend, der in seiner Gesamtheit, der Leistung der Ausführenden, dem „Rohmaterial“ - Werke von Bach, Scarlatti und Händel - und der steinernen Gelassenheit der Felsenreitschule einen weiteren Höhepunkt der Ouverture Spirituelle markiert.

Zufallslos schreitet der Abend fort und der Chor auf das Podium. In Zweierreihe – wie schön! Ein langer Auftrittsweg mag gut geplant sein, auch Sir John Eliot Gardiner hat viel Zeit auf dem Weg zu seinen Musikern. Der Meister und einer der Pioniere der historischen Aufführungspraxis, der Gründer beider agierender Ensembles, ist ein routinierter Mann. Dass hier aber kein abgestumpfter Gageneinstreifer mit federndem Übermut die Aufmerksamkeit seiner Sänger und Instrumentalisten, die auf wundersame Weise schon vor dem ersten Ton in ruhender Eintracht agieren, auf sich zieht, lässt sich schon ob dieses schelmhaften, aufgeregten Blitzens in den wachen Augen erahnen.

„Christ lag in Todes Banden“ ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine von Johann Sebastian Bachs frühesten Kirchenkantaten. Grundlage der Komposition ist Luthers gleichnamiges Osterlied. Es wechseln Chor- und Solosätze, am Schluss erklingt ein schlichter vierstimmiger Kantionalsatz mit der Melodie im Diskant. Das Duett von Sopran und Alt (in Chorstärke) „Den Tod niemand zwingen kunnt“ ist der erste ergreifende Höhepunkt. Soviel Mut zum Leisen würde man so früh im Konzert nicht erwarten, aber es funktioniert, das Publikum wagt kaum zu atmen. Da die Auferstehung jedoch im thematischen Zentrum der Kantate steht, entschließt sich das Publikum weiterzuleben und stimmt in Gedanken in das wiederkehrende Halleluja ein. Man möchte am liebsten mitsingen!

The Monteverdi Choir gilt als einer der besten Chöre der Welt. Es fällt schwer, Klangerlebnisse von metaphysischer Ausprägung zu beschreiben. Ausgewogenheit in allen Stimmgruppen, bestechende Intonation, virtuose Gestaltung der schwierigsten Koloraturen, fabelhafte Chorsolisten – das alles ist The Monteverdi Choir. Und das alles ist John Eliot Gardiner. Es ist einfach spürbar und hörbar, wenn ein Ensemble (an diesem Abend gilt dies für Chor und Orchester) über Jahre und Jahrzehnte mit ein und demselben Menschen probt und tüftelt und gestaltet. Es gibt keine zufälligen Phrasen, keine belanglosen Töne. Jeder Einsatz sitzt. Gardiner dirigiert auswendig.

Domenico Scarlatti ist heute im Wesentlichen für seine 555 Klaviersonaten berühmt. An diesem Abend steht sein „Stabat Mater“ auf dem Programm, ein immer im Schatten von Pergolesis Vertonung stehendes Werk. Man kann gar nicht verstehen, wie das sein kann. Das zehnstimmige Chorstück mit Basso-Continuo-Begleitung ist eine gewaltige Klangentfaltung mit großen Verdichtungen und einer ab dem „Inflammatus“ immer stärker fortschreitenden Entfaltung musikalischer Energie. Im letzten „Amen“ wechselt Scarlatti vom geraden zum Dreier-Metrum und das Werk endet nicht in der Ausgangstonart c-Moll, sondern mit der hellen und erlösenden Dur-Terz.

Das „Dixit Dominus“ des erst 22-jährigen Georg Friedrich Händel markiert den Schlusspunkt des Abends. Es gilt als eines der anspruchsvollsten Chorwerke vor dem 20. Jahrhundert. Der lodernde, von angriffigem Esprit getriebene Monteverdi Choir nimmt die Herausforderung nicht nur an, er gestaltet jede einzelne Schwierigkeit mit Vergnügen und ist, wie auch das Orchester und John Eliot Gardiner immer Herr der Dinge. Schwierige Passagen werden nicht hastig abgespult, sie werden zelebriert und genossen. Das Publikum reagiert mit ekstatischen Beifallsstürmen und stehenden Ovationen: dankbare Gesten für eine berührende, beseelende und beeindruckende Darbietung großer barocker Kunst.

Bild: SFS/Sheila Rock

 

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