Musik als Vision

FESTSPIELE / HESPERION XXI / JORDI SAVALL

28/07/14 „Bal-Kan“ heißt „Honig und Blut“. Im Türkischen, aus dem das Wort kommt, war der Balkan das Land, in dem Milch und Honig flossen, aber auch eine Stätte des Blutvergießens. In der Kollegienkirche riefen gleich zu Beginn ein Moslem und ein Israeli im Dialog Gott an, ehe eine bulgarische Christin ein Liebeslied sang.

Von Gottfried Franz Kasparek

Es steht derzeit nicht überall gut um die Freundschaft zwischen den drei abrahamitischen Religionen. Die einen kehren zurück in ein Mittelalter, dunkler als es je gewesen ist, sprengen Prophetengräber in die Luft und schlagen allen Leuten, die nicht Bruder oder Schwester im verwirrten Geist sein wollen, die Schädel ein. Die anderen schießen Bomben auf Kinder, weil die auf Waffenlagern sitzen müssen. Die Christen geraten zwischen alle Stühle und werden mancherorts verfolgt wie seit Neros Zeiten nicht mehr. Soll uns das nicht so viel kümmern, da es sich ja „hinten in der Türkei“ abspielt? Es soll uns sehr viel kümmern, denn die Welt ist noch kleiner als sie auch zu Zeiten der Kreuzzüge schon gewesen ist.

Jordi Savalls Abend mit „Hespèrion XXI & Gästen“ wurde zur berührenden Beschwörung des Friedens. Der Altmeister der Gambe, sitzt am Rande seines Balkan-Ensembles, leitet es unaufdringlich, als wahrer „primus inter pares“ und streicht Fidel und Rebec. Volkslieder und Tänze, Gebete und Hymnen aus den Ländern des Balkans, der in gewisser Weise bis Syrien reicht, werden schlüssig aneinander gereiht. Die Idee des Abends von der Schöpfung über die vier Jahreszeiten bis zur Versöhnung stammt noch von Savalls verstorbener Frau Montserrat Figueras. Mit dem Programm tourt die Gruppe, erst jüngst war sie damit in Graz bei der „Styriarte“ zu Gast. (Harnoncourts Konzert mit den drei Mozart-Symphonien hatten die Festspiele ja auch von dort für die Ouverture spirituelle eingekauft.)

Die Instrumentalisten, alles Männer, kommen aus Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Serbien, Griechenland, Spanien, Armenien, der Türkei und dem verwüsteten Syrien. Sie spielen nicht nur klassische Streichinstrumente oder Akkordeon, sondern auch Zymbal, die türkische Zither Kanun, Oud, kretische Lyra und verschiedene alte Flöten und perkussive Instrumente. Alle sind sie grandiose Könner ihrer Instrumente und wundersame Improvisatoren. Einer, der blinde Geiger und Sänger Tcha Limberger, sei hier doch genannt. Der eigentlich aus Belgien stammende, charismatische „Zigeunermusikant“ wird etliche Male zum emotionalen Zentrum am Podium. Mitunter treten regionale Gruppen heraus, immer wieder vereinen sie sich in der rhythmischen, melodischen, sinnesfrohen Energie der Musik. Es ist dies eine Energie, die noch mehr komponierende Menschen unserer Zeit entdecken sollten, um den elfenbeinernen Türmen der Avantgarde zu entkommen.

Hamam Alkhalaf aus Syrien singt, ja lebt mit emphatischer Eindringlichkeit arabische Botschaften des Friedens. Drei Frauen sind mehr in der Sphäre der Liebes- und Wiegenlieder und der unwiderstehlichen Tänze daheim, jede für sich eine Bühnenpersönlichkeit, alle gottlob nur dezent verstärkt und mit bezwingenden Naturstimmen wirkend: die aparte Amira Medunjanin aus Bosnien, die mütterliche Stoimenka Outchikova-Nedialkova aus Bulgarien, die lyrisch-zarte Aikaterini Papadopoulou aus Griechenland. Der Israeli Lior Elmaleh mit belcantesker Kantorenstimme und der im tenoralen Timbre gar nicht so unähnliche Türke Gürsoy Dinçer setzen schöne, oft herbe Akzente.

Ein langer Abend ist das, aber kein langwieriger. Nach über drei Stunden und Standing Ovations tritt man hinaus in leichten Regen. Die Musik kann denen nicht helfen, die sie verbieten. Aber sie kann Brücken bauen mit der Einladung, über sie zu gehen. Gemeinsam mit dem wirklichen, oft so schrecklich verschütteten Kern der Religionen, der Liebe, kann sie Visionen schaffen. Dies ist eine wichtige Botschaft der „Ouverture spirituelle“.

Bild: Salzburger Festspiele / Philippe Roca