Vorsätzlicher Mord an einer Opern-Leiche

FESTSPIELE / FIERRABRAS

14/08/14 Eigentlich müssen Alexander Pereira und Peter Stein jetzt geschiedene Leute sein und zeitlebens kein Wort mehr miteinander reden. Dem Festspielchef nämlich war Schuberts Oper „Fierrabras“ ein echtes Herzensanliegen – und der Andere hat alles getan, um die Sache ins Lächerliche zu ziehen. Aber er ist nicht der einzige Opernleichenschänder.

Von Reinhard Kriechbaum

Für wie zeitgebunden, für wie dumm Peter Stein das Libretto hält, das hat er im Vorfeld der Premiere oft und laut und nachdrücklich genug betont. Dass sich eine Aufführung des „Fierrabras“, der schon den Zeitgenossen am A... vorbeigegangen ist, durch nichts anderes als durch die Musik begründen lässt, ebenso. In beidem hat er recht. Dass aber eine Bühnen-Schaustellung mit historisierend-parodistischem Zuschnitt unmittelbar zurückschlägt auf die Musik, eben weil das Optische stärker ist, ist eigentlich von vornherein einsichtig. Stein, der alte Theater-Fuchs, muss das wissen. Es gelten also keine mildernden Umstände: Seine Regie ist vorsätzlicher Mord. Oder genauer: Schändung einer Opern-Leiche.

Doch davon später. Man konnte ja nach der Premiere am Mittwoch (13.8.) im Haus für Mozart aus dem Schlussbeifall den Eindruck gewinnen, dass die Leute mit der musikalischen Seite absolut einverstanden waren. Das ist vermutlich geringer Hörerfahrung geschuldet. Zu erinnern ist: Nikolaus Harnoncourt wäre als Dirigent vorgesehen gewesen. Ihm (der den „Fierrabras“ noch nicht gemacht hat) wäre ein taufrisches Neu-Vermitteln zuzutrauen gewesen. „Fierrabras“ ist eine Ensemble- und vor allem eine Chor-Oper. Diese Szenen, ganz im Ton des Schubert’schen Chorwerks (dessen einstige Beliebtheit auch passé ist) müsste man mit Raffinement wach kitzeln. Das wäre der Angelpunkt, um „Fierrabras“ einigermaßen erträglich zu machen.

Das Beste wäre also gewesen, mit Harnoncourts Absage das Projekt sterben zu lassen. Ingo Metzmacher, ein wie man jetzt hörte ausgewiesener Nicht-Schubert-Fachmann, bringt einen Abend lang einfach nichts zuwege. Freilich: Schöne Stellen zuhauf, da seien die Wiener Philharmoniker vor. Es wird brav musiziert – aber genau das ist viel zu wenig. Man müsste das Publikum schon mit der Nase auf die der Partitur innewohnenden Originalitäten stoßen. Die Dur-/Moll-Wechsel, die kleinen Hör-Täuschungen, indem Nummern wie Arien beginnen, dann aber doch in Ensembles münden: Da gäbe es Potential, aber da braucht es einer Musik-Dramaturgie vom Dirigenten her. Hier wird, von der Ouvertüre (einem ganz „un-opernhaften Symphoniesatz) weg, alles im Mittelmaß verschenkt. Auch Ingo Metzmacher ist ein Schubert-Mörder.

Zu orchestralen Basis-Fadesse kommt also das Szenische: Ferdinand Wögerbauer hat eine Art in Kupfer gestochene Puppenhaus-Prospektbühne entworfen und auf Echtmaß vergrößert. Darin agieren leuchtend helle Ritter-Mannen und -Fräuleins: Frisch aufpoliert die Kettenhemden, glitzernd die Applikationen auf den blütenweißen Kleidern. Eigentlich ist das Reich Karl des Großen ja im Kriegszustand mit den Mauren, aber es gab wohl noch keine Generalmobilmachung. Für die Wäschepflege steht offenbar ausreichend Personal zur Verfügung. Rechte Dunkelmänner sind nur die Mauren.

Die kindisch-naiven Gesten eines Laien-Ritterspiels sind (hoffentlich) planvolle Karikatur. Die Protagonisten treten zum Singen stets artig an die Rampe. Auch wenn jemand vom Chor einen Satz allein zu singen hat, tritt er vor. Allfällige Handgemenge und bewaffnete Szenen sind übersichtlich arrangiert. Fierrabras, der Anti-Held, steht lethargisch da und schaut traurig drein, während die Mannen hinter ihm singen: „Tobe nicht! Rase nicht!“

Das Ad-absurdum-Führen hat System, aber es passiert auf der Szene im Grunde das Gleiche wie im Orchestergraben: Alles ist viel zu liebenswürdig-patschert. Man mag gar nicht recht an Ironie denken. Wie Damoklesschwerter hängen die Projektionstafeln mit den hanebüchenen Texten des Herrn Kupelwieser über der einfältigen Szenerie: Was sich da alles worauf reimen muss, hat schon wieder Witz. Da ließe sich szenisch schon was rausholen.

In einem wenig animierenden Umfeld muss also gesungen werden. Eh in Summe recht ordentlich. Die Aufgaben sind ja undankbar, die Schubert-Opernsingerei ist stimmtechnisch und deklamatorisch viel haariger, als es rauskommt. Julia Kleiter als lupenrein-strahlende Sopran-Emma macht das perfekt, und an ihrer Seite strahlt der subalterne Ritter Benjamin Bernheim mit geschmeidig-weichem Tenor. Dass zwei einander lieben, die gesellschaftlich einander nicht ebenbürtig sind, bringt die Handlung in Gang. Fierrabras (Michael Schade), eigentlich maurischer Kriegsgefangener, aber gerade Freigänger am Hof des Frankenkönigs, deckt den Tenor-Kollegen und wandert deshalb selbst in den Kerker, gleich im ersten Akt. Erst gegen Ende mischt die Titelfigur wieder mit, und da nicht sehr aktiv – das ist eines der Kuriosa im Libretto. Es gibt dann noch ein Paar: Florinda, die Tochter des Mauren-Herrschers, hat sich vor ein paar Jahren in Rom (!) in einen der fränkischen Ritter verschaut. Das Liebesleid lässt Dorothea Röschmann mit Schärfe und nicht wenig Vibrato los. Markus Werba ist ihr Roland, Peter Kálmán der Maurenfürst Boland. Sängerisch beide eher Rohdiamanten, aber das passt eh für die Schwarzen.

Georg Zeppenfeld ist mit seinem hyper-kultivierten Bass als Karl der Große schon ein anderes Kaliber. Übergröße schon fast an vokalem Humanismus. Außer der Dienerin der Florinda (Marie-Claude Chappuis) gibt es weitere winzige Solo-Rollen, die Mitglieder des Young Singer’s Project übernommen haben. Der Staatsopernchor singt, wie gefordert: sauber, pünktlich, brav. Alles weitere hätte ihm der Dirigent anschaffen müssen. Hat er aber nicht.

Am Ende werde auch die Murln (wie man in Wien so schön sagt) friedlich. Wie es sich seit der Aufklärung im Theater gehört. Fierrabras ist aber deshalb noch lang kein Selim Bassa. Im übrigen hat Peter Stein in einem Pressegespräch gesagt: Die Salafiten täten, wenn sie die Oper ernst nähmen, am Ende das Haus für Mozart niederbrennen. Die Gefahr ist minimal. Eher ist mit Amokläufen ungeduldiger Zuhörer zu rechnen (es gälten mildernde Umstände). Die dreieinhalb Stunden strapazieren die Nerven mächtig.

Aufführungen bis 27. August – Im Hörfunk am Samstag (16.8.) um 19.30 Uhr in Ö1; in Ton und Bild am 25. August auf CLASSICA und am 4. Oktober auf 3sat  – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Zum Vorbericht Warum bloß heißt Emma ausgerechnet Emma?