Ein Vormittag zum Schunkeln und zum Strauss-Schwelgen

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / GUSTAVO DUDAMEL

25/08/14 Alle vier Sätze von René Staars üppigem Orchesterstück „Time Recycling“ haben irgendwie mit der Zeit zu tun: Der erste sogar mit der Ur-Zeit, nein noch früher: mit der Entstehung des Weltalls.

Von Reinhard Kriechbaum

Da hebt es jedenfalls mit dem Urknall an, dann stehen die Streicher für eine Aura der Weile und Unbestimmtheit, während viel umherfliegendes Ton- und Klangmaterial sich mehr oder weniger konkretisiert. Nachher geht’s in einem „Perpetua mobilia“ übertitelten Abschnitt so rund, wie eben Planeten sind und fliegen (also doch ein wenig eiernd): Für so etwas ist Strawinsky allemal ein guter Ratgeber.

Ideenmangel kann man René Staar nicht vorwerfen. Mindestens deren hundert sind in den Schlusssatz von „Time Recycling“ eingeflossen, der da heißt: Global Village. Das Dorf tönt so global, dass sich die Philis aufführen dürfen wie das Simon-Bolivar-Jugendorchester, schunkeln und aufspringen und die Bassgeigen herumdrehen und dergleichen Halblustigkeiten mehr.

„Time Recycling“, im Mai uraufgeführt, soll das einzige Auftragswerk sein, das die Wiener Philharmoniker in ihrer langen Geschichte an einen der Ihren vergeben haben. René Staar ist jener nette ältere Herr, der seit gefühlten hundert Jahren – in Wirklichkeit erst seit 1991 – am zweiten Pult der Zweiten Geigen sein Philharmoniker-Dasein verbringt. Der Deal könnte gewesen sein: Wir zahlen das Stück, und Du schreibst einem jeden von uns Kollegen ein tolles Solo in die Noten. So geschah es jedenfalls. Bis sich alle partiturgemäß vorlaut zu Wort gemeldet haben, vergeht dann doch recht viel Zeit, die man als Hörer in irgendeiner Form gerne recycelt zurück bekäme.

Es ist sicherlich Musik, die der Dirigent der Salzburger Aufführung am Wochenende (23./24.8.), Gustavo Dudamel, gerne dirigiert und auch gerne einstudiert hat. Zu den Jugendorchestern von „El Systema“ sollte er das Stück jedenfalls mitnehmen.

Davor und danach ging es wesentlich ernsthafter zu: Richard Strauss‘ „Tod und Verklärung“ und „Also sprach Zarathustra“. Ein bisserl viel tönende Transzendenz für den jungen Dudamel? Als Strauss „Also sprach Zarathustra“ komponiert hat, war er ungefähr so alt wie Dudamel. Da hatte er den Don Juan, Tod und Verklärung und Tills Eulenspiegeleien schon hinter sich und konnte sich mithin ein gutes Stück eigener Welt-Erkenntnis entlang zitieren. Die Musik des frühreif-abgeklärten jungen Hupf durch einen heutigen, temperamentvollen jungen Hupf nachzeichnen zu lassen, hat fast etwas von Authentizität. Gustavo Dudamel setzt den Pegel von vornherein nicht niedrig an, die Wiener Philharmoniker folgen ihm mit Feuereifer, als ob sie spürten, dass ihr Energiepegel in diesem Fall eben nicht an der eigenen Messlatte, sondern an jener des Simon-Bolivar-Jugendorchesters gemessen wird. Ein Vormittag zum Strauss-Schwelgen.

Hörfunkübertragung am 31.8. um 11.03 in Ö1
Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli / Lelli