Orient versus Okzident

FESTSPIELE / WEST-EASTERN DIVAN ORCHESTRA / BARENBOIM

26/08/14 Absoluter Triumph über alle Völker trennende Grenzen hinweg, selbst mit zwei Erstaufführungen von Auftragskompositionen aus Israel und Syrien. Noch mehr aber mit Ravel und als „Zugabenblock“ mit alle „Carmen“-Vorspielen.

Von Horst Reischenböck

Des Initiators und Dirigenten Daniel Barenboims Idee, junge arabische und israelische Musiker in gemeinsamem Spiel versöhnlich zu vereinen, führte in der Zwischenzeit auch zu entsprechend eigens bestellten Werken. Zwei davon (erst Anfang dieses Monats in Luzern aus der Taufe gehoben) wurden am Samstag (23.8.) zu später Stunde auch im Großen Festspielhaus präsentiert. Klänge, die eigentlich keine Hörprobleme provozieren, auch wenn nach „Resonating Sounds“ von Ayal Adler doch Besucher das Weite suchten. Im Einstieg ruft der Toncluster in gewisser Weise Erinnerungen an György Ligeti wach. Es ist der Auftakt zu zwei vielfältig differenzierten, ohne Pause aneinander gefügten Abschnitten, dessen zweiter sich in auch dynamischem Auf und Ab breit macht, ehe dem Titel entsprechend der Fluss leise dahin dämmert .

Weit Applaus fördernder war danach Kareem Roustoms „Ramal: Das Stück überrumpelt sofort im vollen Tutti und pulsiert bis in den elektrifizierend wirkenden Schluss hinein. Das zugrundeliegende Achtel-Metrum ist, vom Takt her am Rhythmus der Poesie des 950 in Damaskus gestorbenen al-Farabi orientiert, auf ihrer acht, sieben, fünf und wiederum sieben geteilt. Da kann (und soll) man aber wohl kaum mitzählen, und so bereitete das Metrum auch Barenboims Taktstock keinerlei Probleme: Da gibt es weit diffizilere Musikalien. Beide Komponisten durften sich an zustimmendem Beifall freuen.            

Nach der Pause ging’s nach Spanien, korrekt: Man durfte Ideen folgen, die Maurice Ravel über dieses Land ausbreitete. Das ließ auch Gedanken daran wach werden ließ, dass und wie sich dort (wo ja auch beispielsweise in Sevilla Mozarts „Figaro“ spielt) über Jahrhunderte hinweg einst arabisches, jüdisches und christliches Leben und Gedankengut friedlich, gedeihlich miteinander mischten. Lang, lang ist's her! Eingangs war an diesem Abend ja die „Figaro“-Ouvertüre erklungen, etwas nebelgrau.

Faszinierend, wie Barenboim Ravels „Prélude à la nuit“ der vierteiligen „Rapsodie espagnole“ in leisestem Pianissimo der Streicher, gleichsam aus dem Nichts, aufblühen ließ. Jeder einzelne Holzbläser wäre gezielt zu würdigen. Es begeisterte die duftige Durchhörbarkeit der Malagueña und, nach der schmerzlich melancholischen Habanera, die in pulsierende Stretta förmlich hinein getriebenen Feria. Exzellent kosteten alle am Podium dann die genialen Finessen aus, die Ravel in dem von ihm selbst instrumentierten Klavierstück „Alborada del grazioso“ an Klangfarben heraus holte. Wie auch in der tief traurigen „Pavane pour une infante défunte“: kurze Möglichkeit zu Atemholen, innerer Besinnung, ehe es dann in den „Boléro“ hinein ging. Da hat sich Barenboim, seiner Mitstreiter sicher, abgesehen von Setzen weniger Akzente mehrheitlich selber aufs Zuhören beschränkt. Genial, ohne übertrieben knalliges Ende, doch deswegen um nichts weniger wirksam.

Mit dem Bizet-“Wunschkonzert“ hatte es dann noch kein Bewenden: wie Barenboim erzählte, kam das Orchester gerade aus seiner eigenen Heimat Argentinien, um dort ein neues Festival zu gründen. Nicht, um zu spielen, sondern um Tango zu lernen: Die Holzbläser, das gleichfalls phänomenale Blech und die Schlagwerker lieferten damit nach zweieinhalb Stunden einen stehend bejubelten Rausschmeißer.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli / Lelli