Gestorben wurde im Trockenen

FESTSPIELE / JEDERMANN

20/07/15 Zehn Minuten vor 21 Uhr am Sonntag (19.7.). Die Zuschauertribüne auf dem Domplatz leer. Im Datum geirrt? Nein, Hofmannsthals „Jedermann“ wird nicht hier, sondern wegen drohenden Schlechtwetters im Großen Festspielhaus sterben.

Werner Thuswaldner

In der Hofstallgasse das übliche Gedränge. Fotografen nehmen vermeintliche Prominente und solche, die es gerne wären, ins Visier. Die Menschenmenge sieht merkwürdigerweise danach aus, als würde hier jeden Moment eine große Folkloreveranstaltung beginnen. Wann und wo sind auch nur annähernd so viele Dirndln und Lederhosen zu sehen? Als Mensch in Zivil muss man sich als Außenseiter vorkommen. Drinnen dasselbe Bild: Dirndln und Lederhosen haben das Große Festspielhaus erobert, Trachten übrigens von hoher Qualität. Hirschleder muss es mindestens sein und selbstverständlich echte Seide.

Aber das Hauptthema ist doch der „Jedermann“. Leider muss der spektakuläre Zug der Schauspieltruppe durch die Stadt wegen des schlechten Wetters entfallen. So kommen die seltsamen Gestalten mit Getöse, die übergroßen Bischöfe, die vielen missmutig dreinschauenden Teufel mit ihren übergroßen Köpfen und die vielen anderen von hinten durch die Reihen des Publikums nach vorn auf die Bühne.

Müssen die Zuschauer wegen der nötigen Verlegung ins Große Festspielhaus verzagt und betrübt sein? Müssen sie nicht. Ja, die Atmosphäre auf dem Domplatz ist einzigartig, aber drinnen kommen dafür andere Qualitäten zum Tragen. Man glaubt, das Bühnengeschehen direkter erleben und viele Details der genau gearbeiteten Inszenierung deutlicher erkennen zu können. Man schaut den beiden Regisseuren, dem Amerikaner Brian Mertes und dem Schotten Julian Crouch, gleichsam genauer auf die Finger.

Fantasie- und farbenreiche Bilder – Musiker sind stets zur Stelle, wenn es gilt, die Stimmung zu verdichten – wechseln mit konzentrierten Zweier-Szenen ab. Julian Crouch, der nicht nur inszenierte, sondern auch das Bühnenbild schuf und mit großartigen Puppen anreichert, siedelt das Geschehen gemeinsam mit seinem Partner Mertes in einem zeitlosen Umfeld an. Wie soll man leben? Und: Wie wird einer mit der Bedrohung durch den Tod fertig? Das sind die entscheidenden Fragen, denen sie sich stellen. Cornelius Obonya als Jedermann strampelt mit aller Kraft gegen die Zumutung des Todes an. Er ist übrigens nicht der eindeutige Unhold, nicht die Verkörperung des reinen Genussmenschen und rücksichtslosen Brutalisten. Er verdient auch Mitleid.

Brigitte Hobmeier, die Buhlschaft, glänzt wieder mit übermütigen Fahrradkünsten, sie gebärdet sich immer wieder anzüglich und ein wenig frivol. Ihr rotes Flatterkleid verfehlt die gewünschte Wirkung nicht.

Die Umbesetzungen fügen sich nahtlos ins Ensemble ein. Der Teufel muss nicht unbedingt gertenschlank sein. Auch wenn er wie Christoph Franken ein wenig korpulenter ist, meistert er seine verzweifelt komischen Eskapaden. Und Jedermanns neuer Guter Gesell, Sven Dolinski, ist nicht nur gut, sondern kreuzbrav.

Es macht Vergnügen, wie Julian Crouch die Figur der Guten Werke gestaltet hat. Als hilflos schwaches Wesen sitzt sie zunächst in einer Kiste, halb Mensch, halb Puppe. Man glaubt nicht, Johanna Bantzer vor sich zu haben, bis sie nicht später, zu Kräften gelangt, munter in der Teufelsabwehr mitwirkt.

Als die Schauspieltruppe am Schluss nach dem durchaus ergreifenden Todesfall wieder zu guter Laune fand und tanzend zur Musik weiterzieht, hatte wohl kaum jemand im Publikum den Eindruck, im Großen Festspielhaus nur eine eingeschränkte Version des „Jedermann“ gesehen zu haben.

Aufführungen bis 29. August auf dem Domplatz – so die Wettergötter Oberhand behalten gegen teuflische Gewitter. Im Regelfall um17 Uhr, Nachtaufführungen um 21 Uhr am 23. und 29. Juli sowie am 5., 9. und 21. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Forster