Glockensymphonie für Klavier

FESTSPIELE / HERBERT SCHUCH

22/07/15 Im Großen Saal des Mozarteums spielte Herbert Schuch am Dienstag (21.7.) sein auch als CD erhältliches Programm „Invocation“ mit „Glockenstücken“ von Bach bis Murail. So gut die CD auch gelungen ist – wenn Schuch die Stücke live spielt, kommt eine Qualität der Verinnerlichung dazu, die am Konzertpodium unserer Zeit ihresgleichen sucht.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Stücke erklingen in zwei pausenlosen Blöcken. Es ist faszinierend, wie der Pianist es schafft, die Spannung zu halten. Kein Mensch kommt auf die Idee, in die Sekundenpausen hinein zu klatschen, auch deswegen, weil Herbert Schuch die aus drei Jahrhunderten stammenden Stücke so klug aneinander gereiht hat, so dass der Eindruck einer Art „Glockensymphonie“ für Klavier entsteht.

Schuch ist ja kein Tastentiger, der landauf, landab die großen Virtuosenkonzert spielt, sondern ein intellektueller Künstler, der durchdachte Projekte bevorzugt – man denke nur an den großartigen Schubert-Janáček-Zyklus der letzten beiden Jahre im Solitär. Dabei ist Herbert Schuch ein hoch emotionaler Musiker, der in seinem Spiel eine goldene Mitte zwischen analytischer Durchdringung und tiefem Gefühl findet. Technisch über jeden Zweifel erhaben, schafft er es, den Subtext der Noten zu erforschen und dabei der Schönheit der Melodik und den Abgründen der Harmonien feinnervig nachzuhorchen.

Der „herrliche Obertonreichtum von großen Glocken und die chaotisch erscheinende rhythmische Überlagerung von durcheinender klingenden Glocken, die im Gehirn der Hörenden immer neue Strukturen und Patterns entstehen lassen“, faszinieren Herbert Schuch. Für ihn sind Glocken aber auch „das magische Medium, mit Hilfe dessen wir mit Gott zu kommunizieren versuchen“. Folgerichtig lautet der Titel des Programms „Invocation“, französisch auszusprechen, da einem Liszt-Titel entnommen. Anrufung also, Beschwörung einer höheren Instanz.

Mit „Cloches d’adieu, et un sourire“, den Glocken des Abschieds samt einem Lächeln, beginnt das Programm, Tristan Murails bewegend schlichtem Abschiedgruß an seinen Lehrer Olivier Messiaen, der wie kein anderer Komponist der Moderne das Göttliche beschworen hat. Doch ehe Messiaens „Regard du Pére“, die Betrachtung des Vaters aus den „Vingt Regards sur l’Enfant Jesus“, erklingt, wundersame Trostmusik aus dem Schreckensjahr 1944, gibt es eine längere Exkursion in die Klangwelt Franz Liszts. Dieser Komponist steht, wie Schuch vermerkt, auch für die Tatsache, „dass sich Katholizismus und Erotik bestens miteinander verstehen“. Vor allem aber ein Großmeister romantischer Glockenspiele und mystischer Töne. Dies kann in archaischer Einfachheit geschehen wie im „Pater noster“ oder im Rahmen eines hoch virtuosen Klangtableaus wie in „Bénédiction de Dieu dans la solitude“, beides vom Interpreten zu einer geheimnisvoll schillernden Tondichtung zusammen gefügt. J. S. Bachs Choralvorspiel „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ in der Bearbeitung Ferruccio Busonis bildet den atmosphärischen Schluss des ersten Teils.

Nach der Pause, in Messiaens „Glocken der Angst und der Trauer“ aus den frühen Préludes, in einer sonoren Bach-Bearbeitung von Harold Bauer, in den exzeptionellen und mitreißend gespielten „Funérailles“ Liszts kommen zur Glockenmystik in der Natur noch die Glocken der Kriege dazu. Aufregend, wie brillant und dennoch in jedem Takt mitfühlend Herbert Schuch die ungarisch-national gefärbten Klangkaskaden Liszts in zeitloses Licht hebt. Darauf gibt Maurice Ravel mit der Innigkeit von „La vallée des cloches“, dem Tal der Glocken aus den „Miroirs“, eine spirituelle Antwort. Der Jubel im Saal wird mit einer weiteren Bach-Busoni-Piece, „Nun komm der Heiden Heiland“, angemessen ruhevoll bedankt.

Hörfunkübertragung am Dienstag, 28.7., 10.05 Uhr, Ö1
Bild: Salzburger Festspiele/ Franz Neumayr