Vor-vorletzte Dinge - atemberaubend

FESTSPIELE / ANDRÁS SCHIFF / LETZTE SONATEN 1

07/08/15 Die jeweils letzten Klaviersonaten von Mozart, Haydn, Beethoven und Schubert hat sich András Schiff für seinen dreiteiligen Festspielzyklus „Letzte Sonaten“ vorgenommen. Der erste Abend am Donnerstag (6.8.) galt also quasi den jeweils „dritt-letzten“ Klaviersonaten. Überwältigend.

Von Heidemarie Klabacher

András Schiff, sonst der Marke Bösendorfer treu, spielt diesen Zyklus auf einem Bechstein–Flügel im Besitz des Schweizer Klavierhauses Gebr. Bachmann aus dem Jahr 1921. Und zwar auf jenem Flügel, auf dem Wilhelm Backhaus viele Schallplatten eingespielt und unzählige Konzerte gegeben habe, verrät das Programmheft.

Es ist immer ein Aha-Erlebnis für unsere vor allem auf den Steinway-Hochglanzklang „eingehörten“ Ohren, einmal ein anderes Klavier von einem Meisterpianisten gespielt zu hören. Der Bechstein kann im Diskant eine Spur verhalten klingen, der Klang funkelt sozusagen nicht routinemäßig. Die Klangfarbenvielfalt, die András Schiff diesem aufregenden – und mit Bedeutung natürlich noch zusätzlich „aufgeladenen“ - Instrument abzugewinnen weiß, ist schlichtweg atemberaubend.

In jeder Lage verbergen sich unzählige Farben und Schattierungen. In der Tiefe reicht die Bandbreite von dunkelsamtener behutsam grundierender Fülle bis hin zum erschütternden, augenblicksweise geradezu metallischen Dröhnen. Basstriller in tiefer Lage von András Schiff ausgeführt, oder auch einzeln „modellierte“, wie aus der Erde gestampfte Töne, können Ehrfurcht und Gruseln lehren. In der Mittellage und dann in der Höhe reicht die Bandbreite vom verhaltenen, manchmal vornehm verschleierten, oft geradezu trockenen Klang, bis zum Sound, der an das feine Schimmern gehämmerten Goldes erinnert.

Auf der Basis solcher Klangmöglichkeiten – und vor allem natürlich der Gabe, diese unzähligen Facetten einem Instrument zu entlocken – gewinnen bekannteste Werke eine ungeahnte und völlig neu erlebte Tiefe: Joseph Haydns Sonate Nr. 60 C-Dur Hob. XVI:50, Ludwig van Beethovens Nr. 30 E-Dur op. 109, Mozarts Nr. 16 C-Dur KV 545 „Sonate facile“ und Schuberts Sonate Nr. 19 c-Moll D 958.

Ein Abend, vier Werke, vier Höhepunkte - Höhepunkte allerdings unterschiedlichster Seelen- und Stimmungslandschaften. Dass die „Sonate facile“ mehr ein Virtuosen- denn ein Anfängerstück ist, ist in der liebevoll gestalteten und zugleich vollkommen unprätentiösen, durchaus flott gespielten Lesart von András Schiff so deutlich geworden, wie kaum je zuvor bei einer Begegnung mit dieser „kleinen Klaviersonate für Anfägner“. Mozarts Schüler hätten anhand dieser Kostbarkeit „die wahre Art das Clavier zu spielen“ gelernt, heißt es anschaulich im Programmheft. Für András Schiffs Interpretation darf zitiert werden, was Mozart über das Spiel des Konzertmeisters der Mannheimer Hofkapelle gesagt habe, nämlich man kenne nicht, „dass es schwer ist, man glaubt man kann es gleich nachmachen. Und das ist das wahre“.

Einzelne der aufregenden harmonischen Wendungen im Adagio der ersten „letzten“ Haydn-Sonate könnten ohnehin von Alban Berg sein – in der Tongebung von András Schiff bekam diese Seite Haydns eine zusätzliche irritierend-irisierende Note.

Wie ein einziges berauschendes Klanggemälde entwickelte Schiff die Beethoven-Sonate op. 109, die nicht nur in der Variationenform direkt auf op. 111 voraus zu weisen scheint.

Wie gesagt vier Werke, vier Höhepunkte, deren überwältigendster dann doch Schuberts D 958 gewesen ist. Expressiv, radikal, symphonisch; dann wieder minutiös in der Gestaltung der delikaten harmonischen Wendungen in den „sanfteren“ Passagen etwa des ersten Satzes – ausgekostet, ausgemalt, ausgesungen, zelebriert ohne Larmoyanz. Die unzähligen Übergänge zwischen den Welten - Übergänge in den Schiff quasi mystische Räume öffnete - wurden immer wieder behutsam betreten als gebe es keine Rückkehr.

Das Publikum im Großen Saal war sich der Sternstunde bewusst. Kaum Huster. Dafür größte Konzentration und die wundersame Bereitschaft, die von Schiff aufgebaute Spannung über spannungvolle Sekunden der Stille über den jeweiligen Schlussakkord hinaus mitzutragen. Respekt. Das ist selten so und verdankt sich der packenden Interpretation. 

So wild und virtuos, so bockig und strahlend er den vierten Satz Allegro eröffnete, so fein und zart gestaltete András Schiff dann wieder die kostbaren Blicke - etwa nach einer bewusst gesetzten großen Pause – in überirdische Welten. Diese unzähligen atemberaubenden Wendungen aus der schonungslosen Expressivität, die den ehrwürdigen Flügel wie ein modern präpariertes Klavier klingen ließen, zu introvertierten Momenten und wieder zurück.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli