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Viel Arbeit für den Liebestodesengel

FESTSPIELE / LIEDERABEND GOERNE, ESCHENBACH

18/08/15 Gewöhnungsbedürftig freilich, aber eine Anregung, den Blickwinkel zu wechseln: Da schwärmt also Matthias Goerne – volkstümlich sagt man zu einem wie ihm: ein g'standenes Mannsbild – von „ihm, dem Herrlichsten von allen“ und er versichert treuherzig: „Ich will ihm dienen, ihm leben, ihm angehören ganz.“

Von Reinhard Kriechbaum

Hat sich da also ein Mordskerl an einem Stück zartester Frauen-Liedkunst vergriffen? Es ist natürlich Kalkül: Schumanns „Frauenliebe und -leben“, von den roten Tüchern echter Emanzen wahrscheinlich jenes im blutrotesten Farbton, steht fürs bürgerliche Frauenbild des 19. Jahrhunderts. Selbst weniger frauenbewegte Geister lässt der Liedzyklus die Stirn runzeln. Wenn das aber ein Mann singt – und noch dazu ein ausgewiesener Grübler wie Matthias Goerne: Da wird man gewahr, dass Adelbert von Chamisso und Schumann etwas in Worte beziehungsweise Musik gefasst haben, was sogar damals bestenfalls behauptetes „Ideal“ war.

Manche Option fürs Leise, die Goerne in den bei ihm so gar nicht schwärmerisch daher kommenden Liedern aufspürt, lassen eher Nachdenklichkeit der jungen Dame vermuten: tieftrübe Gedanken, düstere Vorahnungen.

Ein folgerichtiger Weg wäre vielleicht gewesen, den Geschlechterwechsel beizubehalten und eine Frau die „Dichterliebe“ singen zu lassen. So weit ist man an diesem Festspiel-Liederabend freilich nicht gegangen. Es blieb bei Matthias Goerne, und das war auch gut so. Denn auch da hat Goerne seine Zuhörer in ein eher ungewohntes Seelen-Interieur eingeladen (jene, die sich nicht voll aufs Stör-Husten konzentrierten, lauschten gebannt): Ist nicht auch ein Mann eigentlich Opfer, wenn er sich gar zu rabiat-schwärmerisch einlässt in eine Beziehung? Goerne lässt seinen Heine/Schumann'schen Dichter jedenfalls psychisch ins Bodenlose abstürzen, und auch da schien mir manche Wendung quasi nach Innen anzudeuten: Im Grunde glaubt auch dieser Liebende von vorneherein an kein gutes Ende. Heines Ironie ist ihm ziemlich fremd.

Matthias Goerne ist einer der eigenwilligsten Liedsänger derzeit. Kein anderer experimentiert so risikofreudig mit dem Timbre. Basschwärze kann da hinaufklettern in höhere Lagen, und die Helle, die einem Tenor zur Ehre gereichen würde, zwingt Goerne mit Leichtigkeit zumindest in die Kleine Oktav hinunter. Und das mit allen erdenklichen Zwischentönen, mal samten, mal aggressiv. Gelegentlich könnte sich in die gestalterisch intensiven, aber eben doch leicht impressionistisch geführten Vokalisen wieder der eine oder andere echte Konsonant drängen. Der Textverständlichkeit halber wüsste man's zu danken.

Am Klavier Christoph Eschenbach: Er fängt Matthias Goernes gestalterische Radikal-Lösungen immer wieder auf, und man kam am Montag (17.8.) im Mozarteum einige Male ins Überlegen, ob der eher sachlich-zarte Zugang des Pianisten ein notwendiges, neutralisierendes Korrektiv ist. Oder genau umgekehrt? Möglicherweise wäre gerade mehr pianistische Emphase am Platz, um manche gestalterische Lösung Goernes nicht gar so manieriert wirken zu lassen.

Es war jedenfalls ein strenges Programm: nur Schumann, und der auf ein Jahr zentriert. Die Liederreihe op. 35, zwölf Lieder nach Gedichten von Justinus Kerner, ist ebenfalls 1840 entstanden. Sie bündelt melancholische Stimmungslagen, die Matthias Goerne so konsequent in den anderen beiden Zyklen herausgearbeitet hatte, noch einmal am Beispiel unterschiedlichster Szenerien. Fast nicht zu glauben, was für eine dynamische Entwicklung zu einem Rabiat-Forte hin Goerne in den „Stillen Tränen“ zulässt. Den letzten Satz, „Stets fröhlich sei mein Herz“, will man da nicht glauben. Es klingt nach purem Trotz. Für das genaue Gegenteil stand die „Alte Laute“ als Essenz aus Leisheit, Konzentration, stockendem Puls: „Und aus dem Traum, dem bangen / weckt mich ein Engel nur.“ Goerne und Schumann: Da steht dem Liebestodesengel der Kopf vor lauter Arbeit.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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