Und dann doch nicht von Brahms!

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / SEMYON BYCHKOV

30/08/15 Nach guten vierzig Minuten geht’s so richtig los: Da ballt sich das Blech zusammen, die Melodietöne wirken wie purer Brahms, und für einen Moment besteht nicht der leiseste Zweifel: Das wird jetzt eine Neuauflage von dessen „Akademische Festouvertüre“!

Von Reinhard Kriechbaum

Wird es aber dann doch nicht, sondern ein Fest-Finale. Akademisch sehr wohl, sehr sogar. Aber schon auch süffig und Beifall treibend. Hohle Dinge haben, wie man weiß, besonders viel Resonanz.

Am Sonntag (30.8.) Vormittag im Großen Festspielhaus war der Brahms (nämlich dessen „Dritte“) zu dem Zeitpunkt jedenfalls längst vorbei. Auf den Notenpulten lag die Zweite Symphonie von Franz Schmidt. Schon gut, wenn man so etwas (selten genug) zu hören bekommt. Noch dazu so edel, mit den Wiener Philharmonikern unter Semyon Bychkov. Man versteht gerade dann, dass die Geschichte als Kunst-Verurteilerin gnadenlos ist. Gnadenlos gerecht.

Franz Schmidt also: Als Cellist (eine Zeit lang auch bei den Wiener Philharmonikern) wusste er, was lief. Was in der Luft lag. Im Jahr nach der „Rosenkavalier“-Uraufführung ließ er den Mittelsatz seiner „Zweiten“, eine Variationenfolge nach Art der Haydn-Variationen von Brahms, zuletzt in eine Walzerfolge münden, die alle Ingredienzien des Kollegen Strauss her nimmt. Ein Schönheitsfehler vielleicht ist, dass Schmidt diesen Kavalier nicht mit einer silbernen Rose, sondern mit einem Riesenbuschen saftiger Wiesenblumen daher kommen lässt.

Vermutlich konnte Franz Schmidt im Schlaf Fugen schreiben. Als Melodien sind ihm für seine „Zweite“ eher schlichte Tonfolgen eingefallen, aber diese hat er nach allen Regeln polyphonen Durcheinanders aufgemotzt. Es blutschelt und blubbert wie bös in den Streichern und Bläsern. Letztere haben gewiss auch schon 1912 bei den Wiener Philharmonikern betörend geklungen, vor allem den Holzbläserklang reizte Schmidt gediegen aus. Der Finalsatz hebt an mit einem schier unendlich sich hinziehenden Bläserchoral. Am Handwerk hat es nicht gefehlt.

Gut also, das einmal gehört zu haben, und sogar live bei den Festspielen! Vor der Pause ist man verwöhnt worden, denn die „Dritte“ von Brahms ließ Semyon Bychkov äußerst konzis arbeiten zwischen großzügigem Lineament und akkurat ausgeformten lyrischen, ja diesmal geradezu pastoral anmutenden Abschnitten. Großzügigkeit ist ein Stichwort, das einem zu Bychkovs Brahms-Dirigieren an diesem letzten Festspiel-Sonntagvormittag einfällt – und großzügige Geber waren auch die Wiener Philharmoniker. Überhaupt, rückblickend auf die „Philharmonischen“ dieser Festspiele: Das Orchester zeigte heuer nicht nur Einsatzbereitschaft, sondern oft spürbar spontane Freude am eigenen Tun. Öfters mal sind die Philis über sich selbst hinaus gewachsen.

Ach ja: Auch wenn zu vorgerückter Mittagsstunde der Magen schon knurrte: Nach der Schmidt'schen Symphonie-Üppigkeit musste eine neutralisierende Zugabe sein. Vielleicht hätte man vorher sagen sollen, was es wird: Edward Elgars „Nimrod“ aus den Enigma-Variationen. Ruhevoll gespannt, echte Musik.

Bild: Salzburger Festspiele / Chris Christodoulou