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Ein Klavierabend ist ja keine Vorlesung

INTERVIEW /  ANDRÁS SCHIFF – HELGA RABL-STADLER

02/08/16  András Schiff verdanken wir einige der bewegendsten Konzerte der jüngeren Vergangenheit – sei es erst im Jänner bei Mozartwoche oder – und vor allem – im vergangenen Festspielsommer. Bei den Festspielen 2016 wird András Schiff drei äußerst unterschiedliche Konzerte geben. Festspielpräsidentin Helga-Rabl Stadler sprach mit Sir András Schiff.

Helga Rabl-Stadler: Ich habe Sie bei der Mozartwoche 2016 wieder erleben dürfen. Es war wunderbar. Dazu eine Frage im Detail: Worin liegen die Herausforderung und der Reiz, innerhalb von 24 Stunden zwei Konzerte auf drei verschiedenen Klavieren zu spielen – Programme mit Mendelssohn und Mozart auf einem Graf-Flügel, einem Walter-Flügel und einem modernen Bösendorfer? Oder wie auf einer CD aus dem Jahr 2013 Beethovens Diabelli-Variationen einmal auf einem Bechstein-Flügel von 1921 und einmal auf einem Hammerklavier von Franz Brodmann, gebaut in Wien um 1820.
András Schiff: Je älter ich werde, desto mehr interessieren mich die historischen, die alten Instrumente. Es stimmt nicht, dass die heutigen besser sind, ganz im Gegenteil. Mozarts Walter-Flügel spielen zu dürfen ist ein Geschenk, ein großes Privileg. Da fühlt man sich an der Quelle. Allerdings muss man sehr genau darauf achten, in welchem Saal man darauf spielt. Im Mozarteum geht es ideal, im Festspielhaus wäre es unvorstellbar. Von den Erfahrungen mit den alten Instrumenten profitiert man enorm, danach spielt man dieselbe Musik auf dem modernen Flügel völlig anders, mit den richtigen Tempi und echter Sensibilität.

Helga Rabl-Stadler: Werden Sie auch für Ihre drei Konzerte bei den Salzburger Festspielen im Sommer unterschiedliche Klaviere wählen? Und wenn ja, warum? Am 1. August spielen Sie mit einem der weltweit besten Streichquartette, dem Jerusalem Quartet. Am 3. August machen Sie etwas ganz Besonderes und treten mit den Salzburger Marionetten auf und am 31. August beschließen Sie die Salzburger Festspiele 2016 als Solist in Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur mit dem Gewandhausorchester Leipzig und Herbert Blomstedt als Dirigenten.
András Schiff: Dieses Mal werde ich einen neuen Bösendorfer spielen; ich bin ja ein alter Freund des Hauses, und es ist ihnen jetzt gelungen, ein neues Modell zu entwickeln, das hervorragend ist. Auf diesem Flügel spielte ich übrigens auch die Mozart- und Mendelssohn-Klavierkonzerte bei der Mozartwoche.

Helga Rabl-Stadler: Letztes Jahr feierten Sie in Salzburg große Erfolge mit drei Konzerten, denen Sie als thematischen Bezug den Namen „Letzte Sonaten“ (der Wiener Klassik) gaben. Dieses Jahr nehmen Sie sich erstmals ein gemeinsames Projekt mit dem Salzburger Marionettentheater vor. Wie ist dies zustande gekommen?
András Schiff: Das Salzburger Marionettentheater ist wunderbar, ich habe es immer bewundert, zum Beispiel die alte Zauberflöten-Produktion. Mit Philipp Brunner und seinen Eltern verbindet mich eine langjährige Freundschaft. Als kleiner Junge hat er mit seinen Freunden in Berlin ein Marionetten-Ensemble gegründet, nach dem Salzburger Modell. In Mondsee, wo ich die Musiktage zehn Jahre lang (1989-1998) geleitet habe, konnte ich diese Gruppe für La Boîte a Joujoux von Debussy einladen. Die Kinder haben es fabelhaft gemacht. Viele Jahre später wurde Philipp Künstlerischer Leiter des Salzburger Marionettentheaters. Es war also logisch, dass wir dieses Projekt weiterentwickeln. Die Produktion von La Boîte ist nicht nagelneu, wir haben sie schon in New York, in Wien und anderswo gezeigt. Neu ist dagegen Papillons von Robert Schumann. Es ist also ein sehr ungewöhnliches Programm. Kinder sind dabei willkommen, aber es ist eigentlich für Erwachsene gedacht.

Helga Rabl-Stadler: Sie sind weltweit geschätzt als Pianist, Liedbegleiter, Festspielleiter, Pädagoge wie als Dirigent. In Kammerkonzerten leiten Sie Ensembles oftmals „play and conduct“. Lassen Sie sich als Solist gerne von einem Dirigenten führen?
András Schiff: Ich bilde mir nicht ein, ein Dirigent zu sein. Aber bitte, Mozart war es auch nicht. Als er seine Klavierkonzerte aufführte, da war weit und breit kein Dirigent, sondern er leitete das Ensemble vom Klavier, als Primus inter Pares. Seine Musik erträgt das Taktschlagen nicht. Mit meiner Cappella und mit einigen anderen Orchestern kann ich so intim kommunizieren, dass wir uns mit wenigen Worten, sogar ohne Worte verstehen. Das ist beglückend. Aber natürlich arbeite ich auch liebend gerne mit solch exzellenten Maestri wie Bernard Haitink oder Herbert Blomstedt. Nur gibt es leider nicht viele wie diese.

Helga Rabl-Stadler: 1982 traten Sie erstmals bei den Salzburger Festspielen auf, bis dato 52 Mal plus ein Konzert bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Was bedeuten Ihnen diese Festspiele?
András Schiff: Salzburg und die Festspiele bedeuten mir sehr viel. 52 Auftritte, das hätte ich nie geahnt. Es ist also eine große Auszeichnung, wofür ich dankbar bin. Wir haben hier lange gewohnt und haben viele gute Freunde. Vor allem: Salzburg ist die Stadt Mozarts!

Helga Rabl-Stadler: Sie haben selber Festivals geleitet und gegründet. Was muss ein Festival im Unterschied zum normalen Repertoire bieten?
András Schiff: Das steckt schon im Wort, ein Festival ist ja ein Fest, alles andere als der Alltag: ‚Es muss ein Wunderbares sein’. Es überrascht nicht, dass wir heute so viele davon haben. Die Menschen können sich an einem schönen Ort, weg vom Stress und den Sorgen des täglichen Lebens, besser auf die Kunst konzentrieren, sie sind aufnahmefähiger. Allerdings gibt es manche Festspielfreunde, die jeden Tag mehrere Veranstaltungen besuchen, und am Abend nicht mehr wissen, was sie am Vormittag gesehen oder gehört haben. Also: Genießen ist gut, aber bitte mit Maß. Weniger ist mehr.

Helga Rabl-Stadler: Sie sind ein Entdecker, einer der in den Originalen stöbert, der neue Zusammenhänge sucht. Verraten Sie uns, wohin Sie ihre nächste Entdeckungsreise führt?
András Schiff: Als Musiker muss man sehr viel reisen und das ist heutzutage Gott weiß' kein Vergnügen. Umso mehr genieße ich – viel zu selten – die Zeit zu Hause. Meine sind also metaphorisch zu verstehen. Man beschäftigt sich sehr intensiv mit bestimmten Komponisten und mit ihrer Zeit. Mein nächstes Projekt wird Brahms sein, seine späten Klavierstücke.

Helga Rabl-Stadler: Sie kommen aus Ungarn, Sie leben in Italien, Sie wurden in Großbritannien geadelt. Wo fühlen Sie sich zuhause? Schmerzt es Sie, dass Sie es sich auferlegt haben, aus politischen Gründen nicht mehr in Ungarn aufzutreten?
András Schiff: Ich fühle mich grundsätzlich als Europäer, Mitteleuropäer. Ich interessiere mich zwar für andere Kulturen, aber mein Zuhause ist das Abendland. Was mit Ungarn geschieht, ist sehr traurig und es wird sich so bald nichts ändern. Ich bin aber optimistisch, dass es noch in meiner Lebenszeit soweit kommt, dass ich zurückkehren kann.

Helga Rabl-Stadler: Haben Sie noch Kontakt mit György Kurtág, der heuer 90 Jahre alt wird, und was haben Sie von ihm als Ihrem Lehrer gelernt?
András Schiff: Nur telefonisch. Kurtág ist für mich der größte, wichtigste lebende Komponist. Als Lehrer war er enorm wichtig, ich kam zu ihm sehr jung, mit 14 Jahren. Schon die erste Klavierstunde war unvergesslich, die dreistimmige Invention in E-Dur von Bach. Nach etwa drei Stunden waren wir nicht weiter gekommen als bis zum dritten Takt. Es gibt wenige Menschen, die Musik so heiß und intensiv erleben und so lieben wie Kurtág. Ihm verdanke ich auch die Leidenschaft für die Schubert-Lieder.

Helga Rabl-Stadler: Ihre Frau Yuuko Shiokawa ist Geigerin und stammt aus Japan. Glauben Sie, es ist leichter mit einer Künstlerin verheiratet zu sein, weil sie Verständnis für die Probleme eines Künstlerlebens hat?
András Schiff: Ja, eindeutig. Es ist fast unmöglich für Outsider, diese Probleme zu begreifen.

Helga Rabl-Stadler: Sie lesen viel. In welcher oder in welchen Sprachen lesen Sie? Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
András Schiff: Ja, leidenschaftlich. Auf Ungarisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, manchmal Französisch. Mein letztes Buch war Erfolg von Lion Feuchtwanger, eine wunderbare Satire über München und Bayern, höchst aktuell.

Helga Rabl-Stadler: Sie spielen meist auswendig, haben Sie ein besseres Gedächtnis als alle anderen? Fühlt man sich nicht sicherer, wenn man die Noten vor sich hat?
András Schiff: Mein Gedächtnis ist ziemlich gut, aber sicherlich nicht besser als das von vielen anderen. Denken Sie nur an Daniel Barenboim! Also es ist quasi ein Geburtsfehler. Allerdings muss man daran viel arbeiten. Es fällt mir heute viel schwerer, etwas auswendig zu lernen als vor dreißig Jahren, weil der Kopf ziemlich voll ist und man möchte die wichtigsten Stücke ja auch nicht vergessen. Für mich ist es so, dass das Auswendigspielen eine Befreiung ist, so kann ich mit dem Komponisten und dem Publikum besser kommunizieren. Ein Klavierabend ist ja keine Vorlesung. Es ist also meine Wahl und dafür muss man sich weder entschuldigen noch schämen.

Helga Rabl-Stadler: Welche sind Ihre liebsten Konzerthallen auf der Welt und warum?
András Schiff: Es sind manche. Der Musikvereinssaal, der Mozartsaal des Wiener Konzerthauses, das Concertgebouw in Amsterdam, das Rudolfinum in Prag, das Teatro Colon in Buenos Aires, die Philharmonie in St. Petersburg, die Zürcher Tonhalle, und last but not least das Mozarteum in Salzburg. (Salzburger Festspiele)

www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Joanna Bergin; Andreas Kolarik; Julia Stix

 

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