Klarheit und Brillanz

FESTSPIELE / CALDER QUARTET

03/08/16 „Sorgfältig konstruierte Musikerfahrungen“ möchte das Calder Quartet laut - in holpriges Deutsch übersetzter Biografie - dem Publikum vermitteln. Das tun die vier Musiker - aber gottlob kommen dabei Emotion, Spielfreude und klangliche Sensibilität nicht zu kurz. - Ein bejubelter Abend im Großen Saal des Mozarteums.

Von Gottfried Franz Kasparek

Alexander Calder, Bildhauer und Meister der kinetischen Plastik, Erfinder des Mobile mit vielen Beziehungen zur Musik etwa eines John Cage, eignet sich bestens als Namenspatron für ein Streichquartett von vier smarten und technisch perfekten Herren, die vor allem der luziden Transparenz und der fein abgestimmten Klarheit in der Musik verpflichtet sind. Im ersten Teil des Konzerts am Dienstag (2.8.) stand Thomas Adès im Mittelpunkt. Zu seinem Piano Quartet op. 20 trug der Komponist auch als Pianist Wesentliches bei. Ein kunstgewerblich souverän gestricktes Stück ist das, geradezu schelmisch und „sophisticated“ dem guten alten Sonatenhauptsatz folgend und diesen hinterrücks in Frage stellend.

Musik mit „Verweischarakter“ bestimmte den Abend, so das Programmheft. Nun, das auch schon wieder 22 Jahre alte Streichquartett „Arcadiana“ von Adès träumt sich in vergangene Zeiten, lässt verklungene Schönheit nostalgisch leuchten, ohne sie zu kopieren. Thomas Adès bedient sich lustvoll in der Musikgeschichte und findet doch aktuelle Klänge. Venezianische Gondeln tragen schöne Trauer, Mozart und Schubert schauen vorbei, der Tod tanzt Tango, ohne wirklich Furcht zu erregen, Debussy ist auch nicht fern und Elgar schon gar nicht, ehe eine patriotische Hommage „O Albion“ in durchaus tröstlichen Lethe-Fluten versinkt. Schönes Arkadien, so fern und doch so nah. Die US-amerikanischen Calder-Gentlemen spielen das mit Verve, augenzwinkerndem Witz und exquisiter Virtuosität.

György Kurtágs „Six Moments musicaux“ gehören schon zum Standardrepertoire, obwohl sie erst ein gutes Jahrzehnt alt sind. Auch Kurtág schöpft aus der Tradition und entwickelt diese listig und manchmal voll magyarischer Wehmut weiter. Tonale Zentren sind gegeben, wenn der wohl konziseste Musikant seit Webern seine Miniaturen erfindet. Ungarische Folklore, Messiaens Vögel und Janáčeks Expressivität lassen grüßen, aber all dies wird zu eigener, unverwechselbarer Textur. Besser als die Geiger Benjamin Jacobson und Andrew Bulbrook, der Bratscher Jonathan Moerschel und der Cellist Eric Byers kann man das nicht interpretieren.

Schon zur Pause feierte das Publikum Quartett und Komponist. Nach der Aufführung von Franz Schuberts d-Moll-Quartett „Der Tod und das Mädchen“ brach ein wahrer Jubelorkan los. Keine Frage, so perfekt, brillant und in jeder Verästelung durchhörbar wird das Stück selten gespielt. Die seelischen Abgründe, die es hier freilich zu finden gibt, wurden nicht ganz so zwingend durchmessen. Das „Fierrabras“-Zitat am Ende des ersten Satzes ließ immerhin wirklich kalte Schauer über den Rücken fließen – „Mich fassen die bleichen Gestalten der Nacht“. Das Thema der Variationen erklang in gemessener Schönheit, später geriet manche Formulierung zu hurtig, zu forsch. Da gibt es noch Arbeitspotential, so mitreißend das auch jetzt schon klingen mag.

Die Zugabe galt Andrew Norman, Jahrgang 1979. In „Sabina“ geht es, in allerbester amerikanischer Sibelius-Nachfolge, nicht um eine Dame, sondern um Stimmungen des antiken Rom. Ein Komponist zum Entdecken!

Bild: Salzburger Festspiele / Michael Pöhn