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„Die Sonne, sie scheinet allgemein“

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / ZUBIN MEHTA

07/08/16 „Mit 25 Jahren hatte er bereits die Wiener und die Berliner Philharmoniker sowie das Israel Philharmonic Orchestra dirigiert.“ Das schreibt sich so einfach hin in der Biographie. Zubin Mehta ist Achtzig. Das ist eine Zeitspanne, für die das Wort „Geschichte“ wohl angebracht ist.

Von Reinhard Kriechbaum

Seit 55 Jahren also am Pult der Wiener Philharmoniker. Da ist man im schlechtesten Fall Doyen. Im besten Fall – und wir erlebten am Samstag (6.8.) im Großen Festspielhaus den allerbesten – ist man ein mental jung gebliebener Musiker mit der nötigen Spannkraft, um beispielsweise Bruckners vierte Symphonie vom ersten Tremolo-Einsatz der Streicher weg mit ruhiger und sicherer Hand so neu zu malen, dass man das fertige Bild schließlich guten Gewissens signieren kann. Zubin Mehta!

Wenn jemand dieses Orchester bis in seine Tiefenschichten kennt, dann ist er es. Mehta ist der mit Abstand „Wienerischste“ aller gegenwärtigen Pultmeister (die Schule von Hans Swarowsky hat ihn nachhaltig und auf Lebenszeit geprägt). Die Philharmoniker ihrerseits vertrauen ihm blindlings und lesen ihm jeden Wunsch von Blick und kleiner Geste ab. Dieser Bruckner: Das war eine Sternstunde des Wissens um  einander, der gegenseitigen Vertrautheit und des interpretatorischen Gleichklangs. Nicht die Spur von quasi posthumer Huldigung oder gar ein „Geburtstagsständchen“ für den „Alten“: Es war ein gutes Stück künstlerische Bilanz, getragen vom Wissen, was Miteinander-Leben auf 55 Jahre ausmacht.

Zubin Mehtas farbenfrohes Bild machte in jeder Phrase klar, warum die Vierte „Romantische“ heißt. Es ist nicht deswegen, weil der Komponist irgendwelche Begriffe wie „Morgendämmerung“ oder „Waldesrauschen“ im Kopf gehabt hätte. Es ist die Einstellung, Stimmungen beständig verändern zu wollen, Befindlichkeiten unterschiedlich auszuleuchten, Themen und Satzkonstrukte im Licht der jeweiligen Instrumentation so zu gewichten, dass vom strahlenden Lachen bis zur nachhaltig sich festsetzenden Melancholie so gut wie alles aufzuspüren ist.

Die Wiener Philharmoniker sind an dem Abend in maximaler Stärke für Bruckner angetreten, aber sie haben so leicht und durchsichtig gespielt, dass man gar Erstaunliches vernahm - die kecke Klarinetten-Fußnote gegen Ende des vierten Satzes vielleicht in dieser Form sogar zum ersten Mal. Zubin Mehta hat hören lassen, was ihm in sechs Jahrzehnten der Beschäftigung mit Bruckner aufgefallen ist.

Das „nicht zu schnell“, das bei dreien der vier Sätzen explizit dabei steht und im „Andante quasi Allegro“ sowieso auch gemeint ist, hat dieser Musiker im Blut, im Puls, im Herzen. Da darf schon die eine Artikulation ein klein wenig kantig, die andere wundersam geschmeidig ausfallen: Man empfand hier siebzig Minuten lang die pure Kurzweil. In besonderen Stunden kann auch Bruckner verfliegen und nach einer nahezu Freud'schen Tiefenanalyse so unprätentiös zu Ende gehen, wie man die Schlussakkorde der „Romantischen“ überhaupt noch nie vernommen hat.

Das war also historische Dimension, gespiegelt in purer Lebendigkeit. Man darf nämlich nicht Zubin Mehtas Neugier unterschätzen. Was ihm zuvor Matthias Goerne für Gustav Mahlers „Kindertotenlieder“ angeboten hat, galt es schließlich auch in der Begleitung wachen Sinnes aufzugreifen.

Der Bassbariton mit der extrem schummrig-verhangenen Tiefe und der tenoral hellen Höhe fokussiert diese fünf Lieder in Richtung Leid-Bewältigung. Er bringt das leidvolle Nicht-vergessen-Können („Wenn dein Mütterlein“) auf den Punkt und zeigt im pandämonisch-fröhlichen „Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen“, was für unmenschliche Kraft die Selbstverleugnung kostet: „Der Tag ist schön! O sei nicht bang!“ Und schließlich der Perpetuum-mobile-Grusel „In diesem Wetter, in diesem Braus“, ganz ohne Schein-Idylle in der Passage „Von Gottes Hand bedecket“: Das hat man schon vor 115 Jahren nicht mehr so ohne weiteres glauben wollen, und Matthias Goerne findet gerade dafür den rechten Ausdruck. Vielleicht nicht immer genug Konsonanten, aber sagenhafte Intensität und Abgründigkeit.

Das Orchester: von vorbildlicher Durchsichtigkeit als Ganzes, das jeden gestalterischen Winkelzug hat deutlichst herauskommen lassen. Und das Holz- und Blechbläserchroma! Da hätte man jeden der Herren einzeln zum Verneigen nach vorn bitten wollen.

Das Zeitgenössische kam an dem Abend eingangs kurz und in seiner friedvollsten Variante zu Ton: Arvo Pärts lichtvoll-idyllisierender „Swansong“: Auch dieses Stück hatten die Wiener Philharmoniker uraufgeführt, vor gar nicht langer Zeit (zur Mozartwoche 2014). Wie heißt es so schön im ersten der „Kindertotenlieder“: „Die Sonne, sie scheinet allgemein.“

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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