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Durchaus energisch

FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT GRIGORY SOKOLOV

10/08/16 Ob die Festspiele das, was sie sich bei einem Sokolov-Konzert an Beleuchtung sparen, direkt aufs Gagenkonto des Pianisten überweisen? Das auf Kerzenlicht-Schummrigkeit zurückgeschraubte Ambiente gehört zu den Ritualen der Abende mit Grigory Sokolov. Für Erhellung sorgt allein der Meister an den Tasten.

Von Reinhard Kriechbaum

Er ist aber nicht nur sein eigener musikalischer Beleuchtungsmeister, auch medizinisch muss einer wie er seinen Mann stellen: als Kurzzeit-Therapeut für die Hysterie-Huster, die dem Katarrh frönen, sobald Musik nicht geradlinig, schnell und laut herunterrasselt. Solche häufen sich an einem Abend wie diesem. Bei Sokolov werden im Großen Festspielhaus seitlich weitere Sitzreihen aufgestellt, um die Nachfrage zu zu befriedigen. Auch als Medizinmann erfüllt Sokolov die in ihn gesetzten Erwartungen. Schon in Schumanns Fantasie C-Dur op. 17 war die Lungenheilanstalt-Stimmung so gut wie rausgeklimpert, und dann im Chopin-Teil sowieso.

Mit der „Arabeske“ von Schumann, deren „Minore“-Episoden Sokolov nicht uncharmant, aber eben so gar nicht in Salonstück-Manier deutet, hat er seinen Abend begonnen. Es gehört zu seinen Eigenarten, dass er Stücke aneinanderhängt, ohne dazwischen Beifall aufkommen zu lassen. Recht brausend und kraftvoll-kernig ging's hinein in die C-Dur-Phantasie, dieses weniger populäre, gleichwohl effektsichere Stück, für dessen Tempovorschriften Schumann so gerne das Wort „durchaus“ bemühte. „Durchaus phantastisch“ also, „durchaus energisch“, alles eingelöst von Grigory Sokolov, der ja doch immer durchaus eigene kleine Originalitäten einbringt und da und dort durchaus eigenwillig abzweigt vom jovialen Ton romantischer Pianistik.

Solcher war dieser Abend als Ganzes gewidmet, wobei der Pianist diesmal geradezu jovial die Finger laufen ließ, wie um die störrische Bockigkeit, mit der er im Vorjahr am gleichen Ort bei Schubert Unerhörtem nachgrübelte, vergessen zu machen. Man liegt eben nie ganz falsch, wenn man von diesem eigenwilligen Künstler das Unerwartete erwartet.

Nun alles Chopin: Nach zwei träumerisch eingeleiteten, aber sich jäh in der Gestalt deutlich verfestigenden Nocturnes (op. 32) mit einer gewissen draufgängerischen Empathie hinein in die b-Moll-Sonate! Die bisweilen lustvoll zelebrierte quasi symphonische Wildheit entfesselt Grigory Sokolov mit pingelig vorbereitender Akkuratesse. Er lässt nichts hervorbrechen, sondern es bekommt jedes Forte seine bezwingende Logik. Das gehört eben zum Unvergleichlichen seines Spiels: Wie er im Mittelteil des Scherzo haarscharf die Grenze zu ziehen weiß zwischen Charme und Verzärtelung; wie konstruktiv-angestrengt er den Walzerrhythmus in den rahmenden, gar nicht „scherzenden“ Scherzo-Teilen sich erst durchkämpfen lässt – das sind Teile einer Chopin-Erzählung, der man mit Neugier folgt. Der Marche funèbre, in der Reprise fast gruselig gesteigert: So intensiv trauert einer um jemanden, den er zwischendurch wie in einem Nachruf unter Tränen beschrieben hat. Die knappen Final-Läufe, die Parallelen beider Hände: Sokolov lässt das vergleichsweise unkommentiert, nüchtern stehen. Er ist ja einer, der so spielt, dass er wohl Antworten gibt, aber nie und nimmer letztgültige. Gerade darum ist ja jeder Sokolov-Solistenabend neu und anregend.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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