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Vorbote der realen Vernichtung von Menschen

FEUILLETON / BÜCHERVERBRENNUNG

20/04/18 Vor achtzig Jahren, am 30. April 1938, brannten die Bücher auf dem Salzburger Residenzplatz. Der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer erinnert sich an einen Besuch bei der Witwe des Salzburger Bücherverbrenners Karl Springenschmids – und an ein Buch, das er dort aus dem Regal zog...

Von Gert Kerschbaumer

Freundlich empfing mich die Witwe des Schriftstellers Karl Springenschmid, der als Bücherverbrenner noch in aller Munde ist. Er hinterließ lauter Bücher, die mir ihre Rücken zukehrten, wohlgeordnet in Reih und Glied, somit krasses Gegenbild zum verkohlten Bücherhaufen, den er am Abend des 30. April 1938 auf dem Residenzplatz zurückließ, mit überlieferten Fotos und Feuersprüchen, die sich ins Gedächtnis einbrannten: „Ins Feuer werf‘ ich das Buch des Juden Stefan Zweig, dass es die Flammen fressen wie alles jüdische Geschreibe ...“

Blättern Sie doch in unseren Büchern, während ich Tee zubereite, sagte Frau Springenschmid in liebenswürdigem Ton. Nein danke, erwiderte ich schroff, weil voller Ekel vor den Büchern, die keine Brandmale haben. Dem lebenden Inszenator der Bücherverbrennung wollte ich Fragen stellen. Das missfiel ihm, als ich ihn Anfang der 1980er Jahre in mein Proseminar über Literatur unter dem Nationalsozialismus einlud: kein Handschlag, bloß hinterlassene Bücher, die ich nicht anzufassen gedachte.

Meinen Widerwillen wollte ich aber der freundlichen Witwe nicht länger spüren lassen, weshalb ich, ehe sie Teekochen ging, ein Buch herauszog, aber nicht irgendeines, vielmehr ein Buch in rotem Leinen. Wie elektrisiert stand ich nun da. War ich oder das bleichgewordene rote Buch am falschen Ort? Das Werk eines Autors von Weltruf lag in meiner Hand: Stefan Zweigs Josef Fouché, gewidmet „Arthur Schnitzler in liebender Verehrung“ aus dem Jahr 1929, die Erstausgabe notabene.

Hat ihr Mann das je gelesen, fragte ich frech, im Fouché blätternd. Gewiss hat er das, sagte die Witwe freundlich, den Tee mir reichend. Sie glaubte an ihren Mann über seinen Tod hinaus, hätte daher nie angenommen, er habe sich an blutigen Worten berauscht, er sei gar ein Mordanstifter gewesen, wie Zweig im Fouché bemerkt: „Immer wird es gerade der reingläubige, der religiöse, der ekstatische Mensch, der Weltveränderer und Weltverbesserer sein, der in edelster Absicht Anstoß gibt zu Mord und Unheil, das er selbst verabscheut.“

Abscheu vor Juden, Neid und Hass auf prominente Dichter, deren Existenz es zu vernichten galt: Man wusste in Salzburg, dass Stefan Zweig zu den am 10. Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland verbrannten Dichtern zählte und dass er bereits während der österreichischen Diktatur, im Februar 1934 nach einer Waffensuche in seinem Haus, Salzburg den Rücken kehrte. Im Exil musste Zweig erfahren, dass ihn österreichische Staatsorgane beschuldigten, linksradikalen Tendenzen zu huldigen und überdies Gräuelpropaganda gegen Österreich zu betreiben – Zweig als Staatsfeind?

Bücher, die Stefan Zweig der Salzburger Studienbibliothek geschenkt hatte, überdauerten alle politischen Brüche. Während der österreichischen Diktatur wurde allerdings kein Buch von jüdischen und antifaschistischen Autoren erworben, die auf deutschen Verbotslisten standen. Unter dem NS-Regime erfuhr die Öffentlichkeit erst zwei Tage vor der Bücherverbrennung in Salzburg, welche Autoren „jüdischer Herkunft“ als „verbrennungswürdig“ galten: 48 Namen, aus Verbotslisten fehlerhaft abgeschrieben, nicht geläufige Namen. Beachtenswert ist vielmehr, dass in der Salzburger Liste jene Häupter des Marxismus fehlen, deren Namen mit dem ersten Feuerspruch am 10. Mai 1933 in deutschen Städten fallen: „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe den Flammen die Schriften von Marx und Kautsky.“

Welche Bücher – außer einem Werk Stefan Zweigs – am 30. April 1938 in Salzburg brannten, ist nur in einer nationalsozialistischen Zeitung zu lesen: Max Reinhardt von Siegfried Jacobsohn, Familie von Pater Muckermann, Österreich über alles! von Joseph August Lux, Vaterländisches Lesebuch von Hans Pernter, das Schuschnigg-Blatt Jung-Österreich, ein Werk über Otto Habsburg und sonstige Werke, die uns die Presse verschweigt. Behauptet wird aber, dass die zum kleineren Teil verbrannten und zum größeren Teil eingestampften Bücher nicht aus beschlagnahmten Bibliotheken stammten – woher denn sonst?

Bis März 1938 existierte eine Privatbibliothek im Erzbischöflichen Palais, Kapitelgasse 2, in der Wohnung des Dr. Wilhelm Schmid, der Monarchist und Publizist unter den diktatorisch regierenden Kanzlern Dollfuß und Schuschnigg war, daher unter dem NS-Regime zu den Racheopfern zählte, erstmals im März 1938 inhaftiert war, dann wegen Verweigerung des Führereides und zuletzt in der Endphase des Vernichtungskrieges. Dr. Schmid erlebte die Befreiung und berichtete rückblickend: „Bei der 1. Hausdurchsuchung wurde mir überdies der größte Teil meiner teilweise unersetzlichen Bibliothek konfisziert und am Residenzplatz verbrannt …“

Die Sieger des Gewaltjahres 1938 hatten keineswegs die längst verbotenen sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien im Visier, sondern ihren gemeinsamen Feind, das „Dollfuß-Schuschnigg-System“. Der Brandort lag daher zwischen dem Residenzbrunnen und der Alten Residenz mit Blick auf den Dom. Dort hatten Springenschmids Handlanger, instrumentalisierte Kinder in weißen Stutzen, Bücher ins Feuer werfen müssen.

Die antisemitisch aufgeladene Stoßrichtung des Racheaktes findet ihren Niederschlag in der illustrierten Einladung zur „symbolischen Verbrennung jüdischer und klerikaler Bücher“ am 30. April 1938: ein strahlenumkränztes Hakenkreuz, darunter lodernde Flammen, darin ein berstendes Schiff, der Dom oder die römisch-katholische Kirche mit ihrem Christuskreuz, die österreichische Diktatur mit ihrem Kruckenkreuz und auf dem Grund liegend der Davidstern, den ebenfalls die Flammen fressen. Aber kein Buch, seltsam.

Springenschmids Bücherverbrennung hatte eine Symbol- und Signalfunktion, war Vorbote der realen Vernichtung von Menschen.

Bilder: Privatarchiv Gert Kerschbaumer (1); Stadtarchiv Salzburg / Fotoarchiv Franz Krieger (2);

 

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