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„El Sistema“ als System?

KOMMENTAR

altVon Reinhard Kriechbaum

15/06/12 Es war der vor einigen Monaten verstorbene Ivan Nagel, der – in den neunziger Jahren für kurze Zeit Schauspielchef bei den Festspielen – ätzte: Die Berliner Schaubühne sei nicht zuletzt deshalb Kult, weil die Zuschauer-Kapazität so groß nicht sei und sich glücklich schätze, wer dort Karten ergattere.

Die Überlegung hat psychologisch was. Nagel spielte damals auf seinen Vorgänger Peter Stein an, der mit Shakespeare in der Felsenreitschule eine „Popularisierung“ des Schauspiels bei den Festspielen anstrebte. Die Angelegenheit blieb letztlich Episode.

Wenn der neue Festspielchef dem Kuratorium jetzt eine Ausweitung der Festspiele schmackhaft machen will, ist durchaus die Frage angebracht: Wieviel Festspiele sind gut fürs Publikum, für die Stadt, und für die Festspiele selbst? Alexander Pereira denkt zielgerichtet neoliberal: Solange es Käufer gibt, soll tunlichst ausgeweitet geben. Es wird immer eine erkleckliche Zahl von Städtetouristen geben, die sich zu einem abendlichen Festspielbesuch verlocken lassen – sowohl vor dem 26. Juli als auch nach dem 31. August. Schon gar, wenn Karten stapelweise bereit liegen und sie vielleicht gar nicht so furchtbar teuer sind. Mit ein wenig Experimentierlust ließen sich die sommerlichen Zeit-, Preis- und Kapazitätsgrenzen ohne weiteres austesten. Niemand im Kuratorium brauchte sich in Wirklichkeit Sorgen machen wegen ein paar Millionen mehr im Förderbudget. Die Umwegrentabilität bringt’s ohnedies und ein paar Abschreibposten an den Rändern wären locker zu verkraften.

Aber mit der Verbreiterung der „Ränder“ nagt man sehr wohl an der Mitte. Sie verliert an Gewicht. Alexander Pereira ist, mit Verlaub, der Jüngste nicht mehr. Er weiß, dass er hier nicht Festspielchef auf Langstrecke sein wird. Er kann, aus seiner Sicht, also getrost auf den Kurzzeit-Effekt bauen. Dass mit Wagner und Verdi ordentlich Cash zu machen ist – wer zweifelt daran? Wäre doch gelacht, wenn Salzburg im Wagner-Jahr nicht das bessere Bayreuth würde! Und die Opernfestspiele in Verona leben seit jeher von der „Aida“ und dem Volksfestcharakter des Betriebs in der Arena. Aber hat jemals jemand Verona künstlerisch ernst genommen? Viele fahren dann doch nach Salzburg – nicht nur die Reichen und Schönen.

Die Hofstallgasse ist nicht die Piazza Brà. Von inhaltlichen Dingen ist – wieder einmal – erstaunlich wenig die Rede. Da hört man vom Schwerpunktprojekt „El Sistema“ 2013. Wie schön, dass Pereira und die Präsidentin dafür auch schon die privaten Sponsoren an der Hand haben. Schon gut: Gustavo Dudamel, der Jungspund unter den Dirigier-Scharlatanen, macht gerade Karriere und darf sogar schon gelegentlich vor den Wiener Philharmonikern kasperln. Aber tausend Kinder, ein paar Jugendorchester gleich bei den Festspielen? Der Philanthrop José Antonio Abreu holt so manche Jugendliche aus dem Slum. Als Festspielredner wird er mithin mindestens so gute Figur machen wie einst der Dalai Lama am Rednerpult beim Eröffnungsfestakt. Aber vielleicht sollte man die Ent-Slumisierung doch eher NGOs oder der Caritas überlassen. Salzburger Festspiele dürfen schon ein bisserl elitär bleiben. Mit „El sistema“ ist man jedenfalls nahe an populistischer Kundenfängerei.

Das also könnte Wilfried Haslauer meinen, wenn er von „Bocksprüngen“ redet und in ihnen nicht das Rezept für die Zukunft sieht. „El Sistema“ funktioniert nur ein Mal, und das Simon Bolivàr Orchester ist im Grunde in Salzburg schon so ausgereizt wie Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra. Bald erhebt sich keiner mehr vom Divan, um diese Ensembles im Festspielsommer zu hören.

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