„Wir wollen mehr Demokratie wagen“, verkündete der legendäre deutsche Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungsrede 1969 – für die Kinder und Jugendlichen in Mini-Salzburg eine Selbstverständlichkeit: Die erste neue gewählte Stadtregierung unter Bürgermeister Max (12 Jahre) hat eine Frauenquote bei der Polizei eingeführt und die Wahlen für alle Mini-Salzbürger*innen geöffnet, eine Vollbürgerschaft war nicht mehr nötig. Die Begeisterung der Kinder, am demokratischen Prozess teilnehmen zu können, war enorm: Lange Schlangen bildeten sich bei der zweiten Wahl vor dem Wahlamt und die Auszählung der Stimmen dauerte außergewöhnlich lange. Amtierende Bürgermeisterin ist nun Leonie (14 Jahre alt), die bis zur ersten Wahl in der Kinderstadt 2019 im Amt ist. „Ich kann gar nicht glauben, dass ich Bürgerin von Mini-Salzburg sein kann, wo ich doch gar nicht Bürgerin von Österreich bin“, meinte dazu Rana, 12 Jahre alt.
Gleichgeschlechtliche Ehen sind schon lange möglich in Mini-Salzburg, heuer neu beschlossen wurde, dass auch Adoptionen willkommen sind – 26 Mini-Salzbürger*innen sind so zu einem Sohn oder einer Tochter gekommen. Für Erwachsene, die sich mit einem Gast-Visum in der Kinderstadt aufhalten durften, war bemerkenswert zu beobachten, wie ernsthaft und konzentriert verschiedenste Spielsituationen analysiert und gelöst wurden. Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Altersgruppen und unterschiedlicher Herkunft sind unglaublich schnell miteinander in Kontakt gekommen, haben kommunizieren, sich beobachtet und unterstützt. So meinte etwa der 14jährige Ulrich: „Glaubst du, dass Mini-Salzburg das Selbstbewusstsein von Kindern verändert? – Ich kann nicht für alle sprechen, aber für mich auf jeden Fall.“
Die amtierende Kinderstadt-Regierung war auch zu Besuch in der Partnerstadt Salzburg um sich über verschiedene Themen auszutauschen. Und es gab auch heuer wieder den schon traditionellen Besuch der Botschaften aus Mini-Lenster (Luxemburg) und Mini-München (Deutschland).
Ein wichtiges Thema in Kinderstädten sind die „Kinderrechte“. Welche Rechte haben Kinder? Welche Rechte brauchen sie? Diese Fragen standen auch im Zentrum der diesjährigen zeitgleich stattfindenden pädagogische Werktagung, die mit drei Workshopgruppen zu Besuch in Mini-Salzburg war. Denn Kinderstädte setzen die Reformpädagogik (nach Janusz Korczak) automatisch um: Kinderstädte – egal ob in Europa oder Saudi Arabien – bieten Bildungschancenausgleich, interdisziplinäres Handeln, das Recht auf Beteiligung und freie Meinungsäußerung sowie das Recht auf Nutzung kindgerechter Medien, politische Bildung und Selbstbestimmung – kurz: keine Bevormundung oder Kontrolle der Kinder durch Erwachsene. Kinder und Jugendliche erleben Mini-Salzburg als reale Welt.
Neben dem polit-pädagogischen Hintergrund soll Mini-Salzburg aber natürlich auch Spaß bieten, und auch der Erfindergeist kommt nicht zu kurz: Ventilatoren aus Petflaschen und eine selbstgebaute elektrische Zahnbürste kamen aus der Elektrowerkstatt, der "Sprechende Stadtplan" aus der IT-Werkstatt, und Klemmbretter wurden in der Metallwerkstatt selbst gebaut. In der Genusswerkstatt „Palatcinque“ wurde ein Kochbuch geschrieben. Die Kinder und Jugendlichen haben fünfzig geschäfte gegründet, von der Zuckerwattenfabrik Cotton Candy über Tattoostudios und den Wafflo bis zum Security Service. Und man hat 14 Mini-TV-Sendungen und 14 Ausgaben von Mini-Salzburg aktuell produziert.
Verkehrsprobleme kennt Mini-Salzburg übrigens keine: „innerstädtisch“ bewegt man sich zu Fuß, im Außenbereich - nach erfolgreicher Fahrprüfung - mit Go-Carts. Und: Die Versorgung mit Materialien aller Art erfolgte ausschließlich per Rad. (Spektrum)