Verheimlichte Opfer des Salzburger Justiz-Terrors

HINTERGRUND / STOLPERSTEINE

26/09/17 Im Salzburger Landesgericht wurden in der NS-Zeit über 100 Todesurteile gefällt, die Strafakten der NS-Sondergerichte wurden großteils vernichtet: 32 „Stolpersteine“ werden künftig daran erinnern.Am Donnerstag (28.9.) werden sie verlegt.

Über siebzig Jahre blieben sowohl die Opfer als auch ihre Blutrichter im Dunkeln. Die am Salzburger Landesgericht unter dem NS-Regime gefällten Todesurteile wurden zumeist in München-Stadelheim vollstreckt, wo die Personalien der Opfer und Täter allerdings in erhaltenen Dokumenten aufscheinen.

Bisher wurden in Salzburg 356 dieser zehn mal zehn Zentimeter großen Betonsteine mit Namens-Inschriften verlegt, nun kommen am Rudolfsplatz vor dem Gerichtsgebäude also weitere 32 Erinnerungssteine dazu. So oft verhängte man in Salzburg die Todesstrafe wegen Widerstandes. In einer Vollstreckungsakte liegen sogar die Liebesbriefe einer Italienerin: „Piero carissimo … tanti saluti e baci tua Marisa“ schrieb sie am 30. Juni 1944 an Pietro Pironi, einen Aktivisten der „8a Brigata Garibaldi Romagna“, des Befreiungskampfes gegen die deutsche Besatzung Italiens. Er wurde mit weiteren Italienern in Salzburg zu Tode verurteilt.

Der Salzburger Historiker Gert Kerschbauner hat den Weg des Briefes genau recherchiert. Pietro Pironi war Philosophiestudent und 22 Jahre alt, als er im April 1944 seiner Freiheit beraubt und ins Deutsche Reich verschleppt wurde. Marisa Maraldi wusste nicht, dass ihr geliebter Piero seit Mai 1944 in Schönau an der Enns zur Arbeit gezwungen war und im Juni 1944 mit fünf Genossen aus der Toskana vergeblich versucht hatte, über den Krimmler Tauern nach Italien zu flüchten. Ebenso wenig konnte die Italienerin wissen, dass ihr Piero am 2. August 1944 in Salzburg zum Tod verurteilt und zwecks Exekution nach München deportiert worden war.

Die italienische Post wurde dem Häftling ordnungsgemäß in das Strafgefängnis hinterhergeschickt, wegen des mehrmaligen Ortswechsels und der widrigen Kriegsbedingungen aber mit erheblicher Verspätung. Ungewiss ist daher, ob er alle Briefe und Postkarten mit dem Aufdruck „Vinceremo“ in seiner Todeszelle zu lesen bekam, ehe er am 29. August 1944 um 17.01 Uhr in München-Stadelheim geköpft wurde.

Im Mai 1945 erreichte eine Postsendung mit neunmonatiger Verspätung ihren Bestimmungsort in der Emilia-Romagna: Pietro Pironis Abschiedsbrief an seine „carissima Marisa“, die ihren Piero als „ribelle per amore“ in Erinnerung behielt. Die vermutlich zu spät in München eingetroffenen Liebesbriefe aus Italien liegen noch in der Vollstreckungsakte, die das Bayerische Hauptstaatsarchiv aufbewahrt. In den Münchner Akten befinden sich außerdem Exemplare der hektographierten Todesurteile, andernfalls bliebe die Identität vieler Opfer der Salzburger NS-Justiz ungeklärt, weil die Strafakten des „Sondergerichtes“ Salzburg – in fünfeinhalb Kriegsjahren 71 Todesurteile vorwiegend in München-Stadelheim vollstreckt – mittlerweile größtenteils „skartiert“, somit vernichtet wurden.

Die meisten Terroropfer wurden freilich gar nicht vor Gericht gestellt, vielmehr im Polizeigefängnis am Rudolfsplatz 3 (heute Bezirksgericht) inhaftiert (an dieser Stelle werden ebenfalls Stolpersteine verlegt) und von der Gestapo in diverse Konzentrationslager deportiert und dort ermordet: darunter Otto Weissberger aus Strobl am Wolfgangsee. Er kam in Auschwitz zu Tode. (Personenkomitee Stolpersteine)

Stolperstein-Verlegung in Anwesenheit des Künstlers Gunter Demnig: Donnerstag (28.9.), 9 Uhr, Rudolfsplatz 2/Landesgericht – www.stolpersteine-salzburg.at
Bilder: www.stolpersteine-salzburg.at