Beschliefen und patschokieren

FEUILLETON / RAUCHFANGKEHRER

28/12/19 Eine Jugenderinnerung: Selbstverständlich hing einst in der Küche der Großeltern der jeweils aktuelle Rauchfangkehrer-Kalender. Einer der Gesellen oder gar der Meister selbst hatten ihn zu Jahreswechsel vorbei gebracht, Glück gewünscht – und man ist natürlich nicht ohne Trinkgeld fort gegangen.

Von Reinhard Kriechbaum

Seit kurzem steht das Rauchfangkehrer-Handwerk auf der Liste des immateriellen Kulturgutes in Österreich. Genau gesagt: das „Kehren, Beschliefen, Patschokieren und kontrollierte Ausbrennen von Rauchfängen“, also die traditionellen Techniken dieses Berufs. Unter Beschliefen verstand man das Sich-Hindurchzwängen durch den Kaminschacht. Das gab es freilich eher in Schlössern, im Alltag hat sich spätestens im 19. Jahrhundert der „russische“, also enge Kaminschacht durchgesetzt. Da ließen die Rauchfangkehrer die Kugel hinabsausen, um Ruß- und Pechverlegungen zu beseitigen. Mit der Bürste (mit den seitlich abstehenden harten Borsten) wurde dann die Feinarbeit erledigt. Das Patschok(k)ieren muss man schon genauer erklären: Da ging es ums Überstreichen des rauchgeschwärzten Putzes mit einem dünnen Mörtel aus fettem Lehm, feinem Sand und Holzasche. Also auch eine Maßnahme, um dem Verstopfen des Kamins vorzubeugen.

Die Gefahr war evident: War der Kamin verstopft, so drohte eine Rauchgasvergiftung. Mag das der Grund dafür sein, dass in der österreichischen Wirtschaftskammer die Rauchfangkehrer und die Leichenbestatter in einer Innung zusammengefasst sind? Oder hängt es eher mit der besonderen Beziehung des Wieners mit dem Tod zusammen? So genau weiß man das auch bei der Wirtschaftskammer nicht zu sagen. Ist halt so.

Wie der Rauchfangkehrer und das Glück zusammen kamen, ist selbsterklärend: Guter Rauchabzug war essentiell in Zeiten der Holz- und Kohleöfen. Hans von Mailand hieß der erste namentlich bekannte Rauchfangkehrer hierzulande, Kaiser Maximilian I. Hatte ihn 1512 bestellt und damit die Grundlage zum organisierten Rauchfangkehrer-Wesen geschaffen. Dass über Jahrhunderte vor allem Italiener das Rauchfangkehrergewerbe ausübten, kommt nicht von ungefähr: Im Italien des Spätmittelalters und der Renaissance wurden aus Stein gebaute, mehrstöckige Stadthäuser üblich, und damit auch Kamine. Diese in Schuss zu halten, erforderte bald mehr Fachwissen und Kletterfertigkeit, als sie bei Hausbesitzern und Hausmeistern vorausgesetzt werden konnte. Fachleute mussten her, Italiener hatten die nötige Expertise.

Nicht, dass man die schwarzen Männer von Anfang an mit Glück assoziiert hätte. Man setzte den Schornsteinfeger gelegentlich sogar mit dem Teufel gleich, es gibt Zeichnungen und Gemälde von Rauchfangkehrern mit Bocksfüßen und Teufelshörnern: Leute, die zwar die bösen Feuer-Geister bannten – aber mit Hilfe des Teufels.

Die Berufsgruppe schritt zur ideologischen Gegenwehr. Man verband rund um den Jahreswechsel das Überbringen der Jahresrechnung mit dem Glückwünschen. So ward aus dem Russteufel der gesellschaftlich anerkannte und wohlgelittene Glücksbringer. Allein ihm zu begegnen ist ein gutes Zeichen für den Tag, und einen seiner Knöpfe zu berühren, gar zu drehen hilft dem Glück auch weiter. Einen Rauchfangkehrer-Kalender hat zwar kaum jemand mehr daheim hängen, aber solche (Werbe-)Blätter werden immer noch von vielen Unternehmen gedruckt, belehrt ein Blick ins Internet.

Stadtbrände waren bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine der größten Gefahren. Heizen und Kochen mit Feueröfen, Dachdeckung mit Holzschindeln – die Bedrohung war evident. Am Beispiel Passau: 846 und 1132 sind dort die ersten Stadtbrände dokumentiert. 1181 brannte neben einem großen Teil der Stadt auch der Dom nieder. 1299 reagierte man auf ein Feuer, indem man auf Brandstiftung und Fahrlässigkeit drakonische Strafen verhängte. 1508 brannte es in Passau schon wieder (da wurden dreihundert Häuser zerstört). Der beispiellose Stadtbrand von 1662 fraß 890 Gebäude und kostete zeihundert Menschen das Leben. Noch bevor die Stadt wieder aufgebaut war, kam es 1680 zu einem weiteren Großfeuer in der Altstadt.

Ganz ähnlich schauen Chroniken der meisten Städte aus. Kein Wunder also, dass der Rauchfangkehrer, bis heute ein staatlich beauftragter Kontrollor von Feuer-Einrichtungen, gern gesehen war. Auf dieser quasi-beamteten Mission des Rauchfangkehrers beruht auch der besondere Schutz für die dieses Gewerbe Ausübenden. Wenn es auch mit den Rayonsgrenzen nicht mehr ganz so streng ist wie früher. Heutzutage rücken Rauchfangkehrer kaum noch mit Kugel und Kehrbesen an, dafür haben sie das elektronische Equipment für Abgasmessungen bei der Hand. Also immer noch delegiert der Staat an diese Handwerkergruppe die Kontrolle der Einhaltung diverser Brand-und zunehmend auch Umweltschutzvorschriften.

Die Berufskleidung hat sich über die Jahrhunderte kaum geändert und stellt bis heute einen essentiellen Teil der gemeinsamen Identität dar: Koller heißt die Jacke mit den auf güldenen Glanz polierten Messingknöpfen. Die weiße Kehrhaube, das ebenfalls weiße Mundtuch, die schwarze Hose, ein Gürtel aus Messing (oder einer aus Leder mit Messingschnalle): Das ist bis heute das Idealbild des Rauchfangkehrers.

Eigentlich müsste man unterdessen zwingend gendern: In Wien stellen Rauchfangkehrer-Meisterinnen (19 von 88) schon fast ein Viertel dieser Berufsgruppe. Auf Österreich gerechnet gibt es 13 Prozent Rauchfangkehrerinnen. Es sind keine negativen Auswirkungen aufs Glücksbringen bekannt.

In Wien gibt es ein Rauchfangkehrermuseum
Die Rauchfangkehrer auf der Unesco-Liste des immateriellen Kulturguts und die Standesvertretung bei der Wirtschaftskammer
Mehr über Glücksbringer und Silvester- und Neujahrsbräche im Buch Borstenvieh und Donauwalzer. Geschichten und Bräuche rund um den Jahreswechsel von Reinhard Kriechbaum, im Verlag Anton Pustet
Bilder: www.rauchfangkehrer.wien