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„Kritik ist das Salz der Demokratie“

ULRIKE LUNACEK / RÜCKTRITT

15/05/20 Wenn man ihr so zuhörte heute Freitag Vormittag, als sie mit einer „persönlichen Erklärung“ vor die Presse trat und ihren Rücktritt bekannt gab, dann konnte man nur zum Schluss kommen: Wir müssen uns sowas von schämen, eine Kultur-Staatssekretärin, die es so gut mit uns meinte, einfach so ziehen zu lassen.

Von Reinhard Kriechbaum

Dem Schritt war freilich ein Bombardement gerade aus jener Branche voran gegangen, mit der die Grün-Politikerin Ulrike Lunacek es vermeintlich so gut gemeint und für die sie nach Amtsantritt Ende Jänner dieses Jahres, wie sie versicherte, ihr Herzblut vergossen hatte. Die Kulturschaffenden selbst haben, in absolut begründeter Entrüstung, ihr Ministerium sturmreif geschossen. Es blieb Ulrike Lunacek kein einziger Weg als der Rücktritt (davon, dass Werner Kogler eigentlich Kulturminister ist, redet im Moment keiner).

Sie habe sich einsetzen wollen „für alle, die mit und für uns das Schöne, Progressive, Aufrüttelnde auslösen, für das was uns zu wachen Menschen macht“, so Lunacek. Dass sie „mit ihren Stärken keine positive Wirkung“ habe erzielen können, gab sie jetzt zu. Wo wären diese Stärken gelegen? Ganz gewiss nicht im aktuellen und konkreten Krisenmanagement. Dafür hätte es an diesem Posten eines souveränen Kommunikators bedurft – etwa vom Format ihres Parteikollegen Rudolf Anschober. Wiewohl altgedient im politischen Tagesgeschäft, aber neu im Kulturbereich, wurde Ulrike Lunacek von der aktuellen Lage überrollt. Eine Quereinsteigerin wie sie hätte vielleicht frischen Wind gebracht. Nun freilich wäre quicke Reaktion gefragt gewesen, und dafür fehlte Ulrike Lunacek einfach die Vertrautheit mit der Kulturszene. Geradezu rührend ihre Aussage jetzt beim Abschied, dass sie die Freizeit nun dem Fertiglesen der Bücher am Nachtkastl und dem Besuch von Kulturveranstaltungen widmen werde (sogar eines Kabaretts von Lukas Resetarits, der dem „schwarzen Mond“ Lunacek vor wenigen Tagen ein Video-Pamphlet entgegen schleuderte, das sich gewaschen hatte). Anzustreben wären Kulturpolitiker, die schon vor Amtsantritt in der Szene umgehen und dann einigermaßen wissen, was Sache ist.

Nicht auszuschließen, dass Ulrike Lunacek, seit einem Vierteljahrhundert geeicht im politischen Tagesgeschäft (aber eben nicht in der Kultur), auf längere Sicht in einem wesentlichen Punkt etwas weitergebracht hätte im Staate: das gleichsam siamesische Begriffszwillings-Paar Kultur und Prekariat aufzubrechen. Dieses Problem wäre Ulrike Lunacek sehr am Herzen gelegen. Alle Vorgänger-Regierungen hätten dieses Grundproblem übergangen, betonte sie auch jetzt beim Abschied. Vielleicht wäre sie mit dem Einsatz für Fair Pay langfristig erfolgreicher gewesen als kurzfristig mit dem Corona-Management. Eine Unterstützung von nur 500 Euro im Rahmen des Covid-19-Fonds der Künstlersozialversicherung für Minderverdiener unter 11.000 Euro sei des Kulturlandes Österreich unwürdig. Quasi als letzte Amtshandlung habe sie also noch die Anweisung gegeben, diese Zahlungen auf 1.000 Euro aufzustocken.

Als Politikerin war Ulrike Lunacek zuletzt im Bereich der Außenpolitik deutlich erfolgreicher, denn in innen- und parteipolitischen Fragen. Seit 2009 war sie im Europaparlament, sogar als Vizepräsidentin. Als Berichterstatterin des EU-Parlaments war sie im Kosovo. Dass die langjährige Nationalratsabgeordnete als kurzzeitige Grünen-Chefin zumindest mitverantworten musste, dass ihre Partei bei den vorletzten Nationalratswahlen aus dem Parlament flog, war gewiss ein Tiefpunkt ihrer Karriere.

Es ist wohl zu hart, die Betrauung mit dem Kultur-Staatssekretariat jetzt als „Versorgungsposten“ zu werten, aber ein wenig haftete der Wahl Lunaceks schon auch dieser Geruch an. Vorschusslorbeeren gab es für sie keine, nicht einmal unter Grün-Sympathisanten, an denen es in der Kulturbranche nicht fehlte. Immerhin: Ulrike Lunacek war und ist keine, die in Kultur bloß eine notwendige Lebens-Behübschung sieht. „Kritik ist das Salz der Demokratie“, sagte sie jetzt und sprach damit auch den Widerspruchsgeist der Kulturszene an.

In ihrer „persönlichen Erklärung“ sprach Ulrike Lunacek übrigens konsequent von einer Nachfolgerin. Vizekanzler Werner Kogler bestätigte bei einem Pressetermin drei Stunden später: "Ja, es wird eine Frau."  Aufdrängen würde sich Eva Blimlinger, Nationalratsabgeordnete, Kultursprecherin der Grünen und ehemals Rektorin der Akademie der bildenden Künste. Sie hat sich in einem Zeitungsinterview erst dieser Tage sehr kritisch zu Lunacek geäußert und kein Hehl daraus gemacht, dass sie das Amt eigentlich gerne übernommen hätte.

Bild: Still aus der ORF-Übertragung

 

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