asdf
 

Manon bringt dich um

IM PORTRÄT / ANNA NETREBKO

02/09/16 Donna Anna? Der Zündfunke. Susanna? „Diesen Figaro liebte ich sehr.“ La Traviata? „Jeder liebt sie.“ Anna Netrebko schreibt seit ihrem Debüt 2002 in Mozarts „Don Giovanni“ Festspielgeschichte. Die Stimme, jede Stimme, ist ein lebendiges Instrument. Auch die Jahrhundertstimme von Anna Netrebko verändert sich und fordert ein neues Repertoire. Morgen Freitag (2.9.) kommt weltweit ihre neue CD heraus - „Verismo“.

Von Heidemarie Klabacher

„Ich kam damals zum Vorsingen, habe zwei Phrasen gesungen und er hat gesagt: ‚Das ist es. Wir arbeiten zusammen’.“ Er – das war Nikolaus Harnoncourt. 2002 sang Anna Netrebko die Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“. Regie führte Martin Kušej. Dirigent war Nikolaus Harnoncourt. „Es war einfach wundervoll mit ihm zu arbeiten“, sagte Anna Netrebko im Rahmen eines „TerrassenTalks“ im vergangenen Festspielsommer: „Er arbeitete wie kein zweiter für die Musik.“ 2005 folgte „La Traviata“ in der Regie von Willy Decker im radikal leer geräumten Bühnenbild von Wolfgang Gussmann: „Eine weiße Bühne, eine einzige Frau im roten Kleid, das muss sich ein Regisseur erst mal trauen.“ Von dieser Traviata träumt man noch heute…

Ihr persönliches Highlight sei dennoch 2006 „Le nozze di Figaro“ gewesen, erzählt Anna Netrebko, wieder unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt, diesmal in der legendären Regie von Claus Guth. „Ich mochte die Susanna von Claus Guth, die dunkler und depressiver war als üblich.“ Sie habe ihm vertraut und sei von seiner Inszenierung vollkommen überzeugt gewesen: „Seine Ideen waren so interessant und intelligent.“

Doch schon damals aber habe sie gespürt, dass die Rolle der Susanna zu leicht für ihre Stimme ist. „Meine Stimme brauchte noch mehr Verdi.“ So habe sie begonnen, Rollen für einen schwereren Sopran zu singen. Als ihr Kind dann zur Welt kam, sei die Sache für sie klar gewesen: 2009 begann sie mit dem Wechsel ins dramatische Fach. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich so weit gehen könnte“, sagt sie. Es sei nicht einfach, als lyrischer Sopran geboren zu sein und dann ins dramatische Fach zu wechseln. „Ich arbeite immer noch hart an meiner Stimme. Im dramatischen Fach gibt es keine Scherze mehr. Da kann die Karriere sehr kurz sein.“ Man müsse jede Rolle sehr genau vorbereiten, dürfe nicht „übersingen“.

Im vergangenen Festspielsommer sang die Netrebko in einer konzertanten Produktion die Partie der Manon Lescaut: „Manon kills you!“ Diese Puccini-Partie sei schwierig und anstrengend: „Man darf die Stimme damit nicht überstrapazieren.“ Und es gab im Großen Festspielhaus auch nur drei kostbare – bejubelte – Aufführungen.

Wer diese Opern-Sternstunde nicht erleben durfte, kann immerhin eine große Arie und den kompletten vierten Akt nachhören: Auf der CD „Verismo“, die morgen Freitag (2.9.) weltweit in den Handle kommt. Anna Netrebko singt darauf Arien aus Francesco Cilèas „Adriana Lecouvreur“, aus Ruggiero Leoncavallos „Pagliacci“ oder Arrigo Boïtos „Mefistofele“ – sowie jede Menge Puccini. Zum Sterben schön singt sie die Arien „Un bel dì vedremo“ aus „Madama Butterfly“, „Signore, ascolta“ aus Turandot und „Vissi d’arte, vissi d’amore“ aus „Tosca“, sowie aus „Manon Lescaut“ die Arie „Il quelle trine morbide“ und den kompletten Schlussakt.

Wie auf der Bühne steht der sterbenden Manon auch auf CD als Renato Des Grieux der Tenor Yusif Eyvazov zur Seite: Netrebkos Ehemann. „Ich bin sehr stolz auf ihn. Er hat sein Debüt in Salzburg mit Bravour gemeistert“, sagte Anna Netrebko. „Ich erinnere mich noch, als ich ihn vor zweieinhalb Jahren in Rom zum ersten Mal gehört habe. Ich war beeindruckt von seinem Talent, er musste nur lernen, es richtig einzusetzen. Er arbeitet hart an sich und seiner Stimme“, sagt sie. Aber auf der Bühne seien sie nicht Mann und Frau, sondern einfach nur Kollegen.

Prinzessin Turandot, Tosca, Butterfly: Große Frauengestalten, große Rollen, „schwere Kaliber“, die Anna Netrebko mit betörender Klangkraft bei stupender Klarheit gestaltet. Sie habe durchaus noch immer die Leichtigkeit einer Susanna, sie könne - „Wenn Sie wollen morgen“ - noch immer „Lucia di Lammermoor“ oder „L’elisir d’amore singen“. Aber inzwischen wolle sie selber mehr: „Ich will nicht länger vorgeben, ein junges Mädchen zu sein.“

Wie dieses „Mehr“ klingen wird, davon gibt also die „Verismo“-CD mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Antonio Pappano einen eindrücklichen Vorgeschmack. Die Partie der Turandot habe ihr so sehr gefallen und zugesagt, dass sie für die CD-Einspielung von „Signore, ascolta“ nur zwei Takes gebraucht hätten, während sich das Gesamtprojekt über zwei Jahre erstreckt habe.

„Ich muss eine Rolle lieben, um sie singen zu können“, sagt Anna Netrebko. „Technik ist dabei nicht das Thema. Wenn das Gefühl nicht stimmt und ich die Rolle nicht wirklich liebe, kann ich sie auch nicht singen.“ Mit der Partie der Norma sei es ihr so ergangen, erzählte die Netrebko. „Ich habe wirklich versucht, die Rolle lieben zu lernen, aber es passierte einfach nicht.“ Daher habe sie in der vorigen Spielzeit ihr Debüt in Covent Garden mit Bellins „Norma“ abgesagt: „Die mögen mich nicht, und sie haben Grund, mich nicht zu mögen.“

Mit der Rolle der „Elsa“ in einer Wiederaufnahme von „Lohengrin“ unter Christian Thielemann in Dresden sei sie dagegen sehr glücklich gewesen. Auch wenn sie, wie sie unter Lachen erzählt, die größten Schwierigkeiten mit dem Auswendiglernen der deutschen Verse gehabt hatte. Thielemann sei sehr geduldig mit ihr gewesen, habe aber nach dem ersten Auswendig-Versuch gleich gefragt, wo sie den Teleprompter stehen haben wolle. Mehr Wagner? 2018? Bayreuth? „I’ don’t know…“ Dagegen ist kein Geheimnis mehr: Aida. 2017. Salzburg.

ANNA NETREBKO.VERISMO. Mit Anna Netrebko, Yusif Eyvazov und dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano. CD / Download - 0289 479 5015 8 – International Release 2. September 2016 - www.deutschegrammophon.com
Bilder: Salzburger Festspiele/Anne Zeuner; Salzburger Festspiele 2005; Salzburger Festspiele 2006 (1); Salzburger Festspiele/Marco Borrelli

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014