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Die Donau „is a tajch“

IM PORTRÄT / ARMIN EIDHERR / SCHOLEM ALEJCHEM 

05/10/16 Die Donau ist natürlich auch auf Jiddisch kein Teich, sondern ein Fluss. „Das ist oft schwer nachvollziehbar“, sagt Armin Eidherr. „Es gibt hunderte Wörter im Jiddischen – wir nennen sie Falsche Freunde – die wie ein deutsches Wort klingen, aber eine andere Bedeutung angenommen haben.“ Wir halten also fest, und zwar in korrekter Kleinschreibung: der dunaj is a tajch.

Von Heidemarie Klabacher

Ein Gespräch mit Armin Eidherr – Professor für Jüdische Kulturgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Jiddistik und deutsch-jüdischen Literatur am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg – ist eine mitreißende Angelegenheit. Sprach- und  Literaturwissenschaft werden zur lebendigen Zeit-Geschichte.

Am Donnerstag (6.10.) laden Armin Eidherr und das Literaturforum Leselampe  zum „Literaturfrühstück“. Der Wissenschaftler und Übersetzer spricht über den Autor Scholem Alejchem, einen Klassiker der jiddischen Literatur. Zu dessen 100. Todestag am 13. Mai erschien Armin Eidherrs Übersetzung eines Hauptwerkes von Scholem Alejchem: „Tewje, der Milchmann“. Wer jetzt sagt, „Kenn ich“, der irrt vermutlich. Hat, bestenfalls am Broadway, das Musical „Anatevka“ gesehen.

Scholem Alejchem, geboren als Scholem Jankew Rabinowitsch am 2. März 1859 in Perejaslaw bei Kiew, gehört „zu einer Trias von drei Schriftstellern, die als Klassiker der modernen Jiddischen Literatur gelten“, sagt Armin Eidherr. Die beiden anderen (Mendele Moicher Ssforim, 1836 bis 1917, den „Großvater der neuen jiddischen Literatur“, und deren „Vater“ Isaak Leib Perez, 1851 bis 1915) müssen wir hier auslassen. Bleiben wir beim „Enkel“ Scholem Alejchem.

Natürlich gibt es jiddische Literatur, Medizinbücher, Gebetbücher, seit dem Mittelalter: „Das Jiddische war nie nur ein gesprochener Dialekt ohne Verschriftlichung“, betont Armin Eidherr. „Es gab Millionen von Menschen, in Polen, in den baltischen Staaten, in Russland, die haben Jiddisch gesprochen.“ Aber erst diese drei Autoren hätten das Jiddische – als Schriftsteller zunächst vom Hebräischen, Polnischen oder Russischen herkommend – als eigenständige Sprache auf „hohes literarischens Niveau gehoben“.

Doch alle drei Autoren sind noch während des Ersten Weltkriegs gestorben „und schon wenig nachher sind diese Werke ziemlich unverständlich, weil zu kompliziert geworden für normale Leser“, schildert Eidherr das Auf-und-Ab des Jiddischen. Die Werke erschienen stark vereinfacht oder stark kommentiert: „Zum Tewje gibt es ein eigenes Buch mit Erläuterungen auf Jiddisch! Auch die jüdischen Leser haben das gebraucht.“

Dann hat sich, vereinfacht gesagt, die jiddische Literatur zusätzlich zu reiben begonnen an anderen Welt- und Literatursprachen, wie dem Polnischen oder im Exil etwa am Amerikanischen. „Eine interessante reiche Sprache ist herausgekommen“, fasst Eidherr zusammen. „Und da sind wir bei mir und meiner Fasziniertheit: Jiddisch ist keine germanische, keine semitische, keine romanische Sprache, es vereint vielmehr Einflüsse aller dieser Sprachen. Es ist eine uralte Kultsprache, auf die Jahrhunderte lang etwa das Urkainische oder Polnische, weniger das Russische, eingewirkt haben. Das ist wahnsinnig faszinierend.“

Viele meinten, das Jiddische wäre ein ideales Esperanto. Aber dem kann Armin Eidherr nicht zustimmen. „Die Grammatiken aus dem Slawischen, dem Mittelhochdeutschen, dem Hebräischen vermischen sich. Und die Vermischung passiert oft sogar auf der Ebene der Wortbildung: Da gibt es hebräische Worte mit Slawischer Plural-Endung - die unglaublichsten Mischungen.“

Scholem Alejchem habe, bei allem Bewusstsein für das Hochsprachliche, dem Volk weiland am stärksten „auf’s Maul geschaut“. Und genau aus der Spannung entstand der unergründliche Humor der Geschichten um Tejwe, den Milchmann. Etwa wenn dieser – der meinte ein gewiefter Talmudist und gebildeter Rabbi zu sein – zwischen der hehren Bedeutung des Originals und seiner oft mehr als lebenspraktischen Auslegung Feuerwerke unfreiwillige Komik zündet.

Über einen Zeitraum von gut fünfzehn Jahren ist der „Tewje“ zunächst als eine Folge von einzelnen Geschichten über die Töchter des Milchmannes entstanden. „Diese Geschichen hat er zum Roman zusammengesetzt.“ Das Werk sei daher tatsächlich ein Abbild der Zeitumbrüche, betont Armin Eidherr. Hinwendung zum Kommunismus. Ideen von Gleichheit. Kampf der Ideologien. Judenverfolgung. Progrome. Die Auswanderung nach Amerika: „All das findet seinen Niederschlag in den Geschichten über die Töchter von Tewje, dem Milchmann“.

Literaturfrühstück des Literaturforums Leselampe mit Armin Eidherr - Donnerstag (6.10.) 10.30 Literaturhaus - www.literaturhaus-salzburg.at
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Bilder: Privat; Manesse Verlag

 

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