Musik ist die Sprache von Herz und Seele

TODESFALL / MARISS JANSONS

01/12/19 Als kürzlich bei der Vorstellung des Festspielprogramms für den kommenden Sommer verlautbart wurde, dass Mariss Jansons in Salzburg die Oper Boris Godunow dirigieren werde, war eine Journalistenfrage, ob es denn einen Plan B gäbe: Dass der Dirigent seit Jahren schwer krank ist, war ja kein Geheimnis.

Von Reinhard Kriechbaum

Gestern Samstag (30.11.) ist der lettische Dirigent, unumstritten eine der Autoritäten seines Fachs, in St. Petersburg verstorben. Er war 76 Jahre alt. Schon im diesjährigen Festspielsommer musste Mariss Jansons die beiden Konzerte mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gesundheitshalber abgeben.

Dass Mariss Jansons im Rahmen eines Austauschprogramms 1969 bei Hans Swarowsky an der Wiener Musikakademie studieren konnte, war mitten im Kalten Krieg keine Selbstverständlichkeit. Auch dafür, Herbert von Karajan 1970 in Salzburg zu assistieren, mussten damals erst die sowjetischen Behörden ihren Sanctus erteilen. Sein Debüt bei den Salzburger Festspielen gab der Karajan-Schüler 1990, am Pult des Oslo Philharmonic Orchestra, dem er damals vorstand. Zwei Jahre später war Mariss Jansons erstmals mit dem Orchester seiner Heimatstadt St. Petersburg bei den Festspielen zu Gast, 1994 dirigierte er erstmals die Wiener Philharmoniker in Salzburg. Beinahe jeden Sommer ist der Dirigent seit seinem Debüt mit einem seiner Orchester im Konzertprogramm der Salzburger Festspiele vertreten gewesen. 1999 stieß das Gastspiel des Pittsburgh Symphony Orchestra auf besonderes Interesse, 2006 kam Mariss Jansons erstmals mit dem Concertgebouw Orchestra und 2007 dann mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu den Festspielen. Mit sieben verschiedenen Orchestern gastierte Mariss Jansons im Lauf von mehr als viereinhalb Jahrzehnten in Salzburg.

Im Orchestergraben machte er sich rar, und so war er als Operndirigent erst ganz spät und nur zwei Mal in Salzburg präsent: 2017 leitete er hier Dmitri Schostakowitsch' Lady Macbeth von Mzensk, 2018 folgte Tschaikowskys Pique Dame. Im selben Jahr wurde ihm die Festspielnadel mit Rubinen verliehen. „Wenn Mariss Jansons das Dirigentenpult betritt, dann herrscht in jedem Saal dieser Welt eine besondere Spannung. Immer spürbar sind sein großer Respekt vor den Werken und seine Liebe zu den Musikern, mit denen er arbeitet“, sagte damals Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler.

„Ohne Leidenschaft jedes einzelnen Musikers, ohne Farbe und ohne Herz wäre diese Oper langweilig“, sagt Jansons über Pique Dame. Er stand als Dirigent nicht nur für absolute handwerkliche Lauterkeit stand, sondern eben auch für glühende Emotionalität, die er mit den orchester-Kollegen höchst partnerschaftlich umsetzte. Nicht zufällig heißt ein Filmporträt über ihn Mariss Jansons – Musik ist die Sprache von Herz und Seele.

„Mit ihm verbindet uns eine jahrzehntelange enge künstlerische Partnerschaft und eine tiefe persönliche Freundschaft“, so der Vorstand der Wiener Philharmoniker, Daniel Froschauer. Drei Mal – 2006, 2012 und 2016 – haben die Wiener Philharmoniker Mariss Jansons ans Pult ihres Neujahrskonzerts geholt. Das ist sozusagen der ultimative Vertrauensbeweis dieses Orchesters in einen Dirigenten. „Wir sind unfassbar traurig“, schreibt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf seiner Website. Jansons Vertrag als Chefdirigent wäre bis 2021 gelaufen.

Geboren wurde Jansons 1943 als Sohn des Dirigenten Arvid Jansons in Riga. Er studierte mit Auszeichnung Violine, Klavier und Dirigieren am Konservatorium Leningrad. 1971 gewann Jansons – unterdessen Dirigierstudent bei Hans Swarowsky und Karajan, der internationalen Herbert-von-Karajan-Wettbewerb in Berlin. Der russische Altmeister Jewgeni Mrawinsky hielt große Stücke auf den jungen Kollegen und wollte ihn als seinen Nachfolger als Chefdirigenten der damaligen Leningrader Philharmonie sehen – das hat freilich nicht geklappt, aber die St. Petersbuirger Philharmoniker zählten wie viele andere der Orchester-Elite zu jenen Ensembles, die Jansons häufig dirigierte.

Die Salzburger Festspiele müssen für den kommenden Sonntag nicht nur einen neuen Dirigenten für Boris Godunow suchen. Er hätte auch das erste Konzert der Wiener Philharmoniker dirigieren sollen.

In memoriam Mariss Jansons bringt der „Kulturmontag“ am 2. Dezember ab 22.30 Uhr in ORF 2 einen Nachruf, die „matinee“ zeigt am Sonntag, dem 8. Dezember, Robert Neumüllers Porträt „Mariss Jansons – Musik ist die Sprache von Herz und Seele“ (9.05 Uhr). ORF III plant unter anderem für morgen Montag (2.12.) eine „Kultur Heute“-Spezialsendung um 19.45 Uhr. Ö1 erinnert am 2.12. im „Pasticcio“ (8.20 Uhr) und in „Des Cis“ (11.30 Uhr) an den Dirigenten. Am Samstag, dem 7. Dezember, wird ihm „Apropos Klassik“ (15.05 Uhr) gewidmet sein.
Bilder: BR/Peter Meisel (2); Mariss jansons privat (1); Salzburger Festspiele/Anne Zeuner I1)