Der große Festspiel-Veränderer

TODESFALL / GERARD MORTIER

09/03/14 Das Wort „Ära“ ist rasch bei der Hand, wenn es gilt, die Arbeitsperiode eines Festspielintendanten zu benennen. Für jene Zeit, in der Gerard Mortier die Geschicke der Salzburger Festspiele verantwortete, gilt freilich wirklich: Es war die „Ära Mortier“. Der belgische Theatermann ist heute Sonntag (9.3.) in Brüssel gestorben.

Von Reinhard Kriechbaum

128Gerard Mortier wurde siebzig Jahre alt. Im Vorjahr war ihm die fatale Diagnose gestellt worden: Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Gerard Mortier war eine der raren Intendantenpersönlichkeiten, die unbeirrbar – auch durch schwere Krankheit nicht – für die Kunst und deren gesellschaftliche Bedeutung kämpften. Sein Tod ist ein schrecklicher Verlust“, reagierte Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler in einer sehr persönlichen Stellungnahme auf seinen Tod.

Gerard Mortier war der Sohn eines Bäckers in Gent und wuchs dort in einem Arbeiterviertel auf. In seiner belgischen Heimatstadt studierte er Jus und danach Kommunikationswissenschaften. Seine Karriere begann er 1968 als Assistent des Direktors des Flandern-Festivals. In den Jahren 1973 bis 1980 war er für Christoph von Dohnányi und Rolf Liebermann tätig. Seine international wahrgenommene Laufbahn begann 1981: Da übernahm Gerard Mortier für zehn Jahre die Leitung der Brüsseler Oper La Monnaie. Nicht zuletzt die Mozart-Produktionen dort (realisiert mit Sylvain Cambreling als Dirigenten sowie Karl-Ernst und Ursel Herrmann als Szeniker ) führten dazu, dass man ihn 1991 als Festspielintendanten nach Salzburg holte. Er wirkte hier bis 2001.

Unter seiner Ära erlebten 25 Opern des 20. Jahrhunderts ihre Aufführung in Salzburg. Es wäre aber zu kurz gegriffen (und wohl auch sachlich nicht ganz richtig), wenn man sein Wirken auf die Öffnung zur Moderne hin eingrenzte. Viel wesentlicher war wohl, dass Mortier als Intendant sehr viel Energie in eine Auffrischung auch des Publikums investierte. Ein gutes Stück „Demokratisierung“ hat er in Salzburg umgesetzt. Dass er (und Hans Landesmann als Konzertchef) recht vehement die Festspielen aus den Klauen der Tonträgerindustrie befreiten, wurde damals als ihre „Tat“ wahrgenommen. In Wirklichkeit war es wohl so, dass der Stern der CD-Konzerne ohnedies schon stark verblasste.

Mortier polarisierte, er war keineswegs konfliktscheu. Dass ihm im Zweifelsfall der intellektuelle Unterbau eines Programms wichtiger war klangvolle Namen, wurde ihm besonders von einigen Wortführern des Wiener Feuilletons nachhaltig übel genommen. Akzente wie „Zeitfluss“ wurden indes international sehr positiv wahrgenommen und brachten tatsächlich viele Menschen nach Salzburg, denen die Festspiele in der Endzeit Karajans und in dem darauf folgenden kurzen Interregnum entschieden zu glatt und nichtssagend waren. Die „Festspiele der Wiederaufbaugeneration“, für die Salzburg bis dahin stand, hat Mortier jedenfalls umgepolt.

„Gerard Mortier war ein überzeugter Anhänger der Philosophie des Giuseppe di Lampedusa, der in seinem Roman 'Il Gattopardo' sagen lässt: 'Wenn du willst, dass alles so bleibt, wie es ist, musst du alles ändern'.“ Daran erinnert Helga Rabl-Stadler, die 1995 als Präsidentin der Festspiele ins Team kam. Mortier, Hans Landesmann (gestorben 2013) und Rabl-Stadler waren also sieben Jahre lang die Führungscrew. „Mortier wollte, dass die Festspiele die besten und wichtigsten der Welt bleiben. Er wusste, dass er nach dem Tod seines übermächtigen Vorgängers Herbert von Karajan vieles ändern musste und er wollte das“, so Helga Rabl-Stadler. „Es war wunderbar mit ihm zu arbeiten, wenn er mit Kompetenz und Passion Programme durchsetzte, die zunächst nicht zu verwirklichen schienen wie zum Beispiel 'Saint François d’Assise' von Olivier Messiaen. Es war schwer mit ihm zu arbeiten, wenn seine Lust an der Provokation Kollegen und Künstler verletzte.“

Nach Salzburg leitete Gerard Mortier von 2002 bis 2004 den ersten Zyklus der neu gegründeten Ruhrtriennale. Ab der Spielzeit 2004/05 bis 2009 war er Chef der Pariser Oper.

Nichts geworden ist 2008 mit der Leitung der Bayreuther Festspiele, um die er sich gemeinsam mit Nike Wagner beworben hatte. Die Position als General Manager und Artistic Director der New York City Opera – für die er ab 2009 im Vertrag gewesen wäre – hat Mortier nicht angetreten, aufgrund finanzieller Einbußen dieser Institution. Mortier, der bereits zwei Saisonen fix geplant hatte, erklärte, er könne den künstlerischen Anspruch nicht mehr einlösen. 2010 übernahm er das Madrider Opernhaus Teatro Real, dem er nach unschönen Querelen zuletzt als Konsulent zur Verfügung stand.

Die Universität Salzburg zeichnete Mortier mit einem Ehrendoktorat aus, die Stiftung Mozarteum verlieh ihm 2002 die Silberne Mozartmedaille. Eben erst in Gründung: Das Gerard-Mortier-Operninstitut am Salzburger Landestheater, dessen Intendant Carl Philip von Maldeghem eine Zeit lang persönlicher Intendant Mortiers gewesen war. In Graz hat man vor wenigen Tagen erst einen „Mortier Award“ ins Leben gerufen, eine biennal zu vergebende Auszeichnung. Im Mai sollte Mortier erster Träger dieses nach ihm benannten undotierten Preises sein.

Dass ihn der belgische König 2007 zum Baron ernannt hat, ist ein skurriler Punkt in der Vita dieses Theatermanns, dem gerade die Entschrankung und das Anti-Bourgoise ein erklärtes Anliegen waren. „In seinen besten Zeiten gelang es Mortier das Killerwort `beliebig` für das Festspielprogramm aus den Feuilletons zu löschen“, erinnert sich Helga Rabl-Stadler. Sein Motto war ‚Ich möchte eine Festspielgemeinde kreieren, die eine Gemeinde dieser Zeit ist. Ein Publikum also, das sich den großen Fragen einer komplexen Welt stellt, andererseits müssen die Künstler den Sinn der Kunst reflektieren'.“

Es freue sie besonders, dass Mortier erst kürzlich in einem Interview einen Blick zurück in Zuneigung formuliert habe: „Die Salzburger Festspiele waren für mich die größte Bereicherung in meinem Leben, nicht nur durch die Begegnung mit so vielen herausragenden Künstlern, sondern auch mit den schöpferischen Kräften, den Komponisten und Dichtern. Es gibt keine kulturelle Institution auf der Welt, wo man diese Chance bekommt. Ich hatte unglaublich viel Freude an Salzburg.“

Bild: Teatro Real