„Da kommen große Gedanken hoch“

NIKOLAUS HARNONCOURT / RÜCKZUG VOM PODIUM

06/12/15 „Zwischen uns am Podium und Ihnen im Saal hat sich eine ungewöhnlich tiefe Beziehung aufgebaut – wir sind eine glückliche Entdeckergemeinschaft geworden!“ Das hat Nikolaus Harnoncourt am Samstag (5.12.), dem Vorabend zu seinem 86. Geburtstag, sein (nicht nur) Wiener Publikum wissen lassen. Er beendet seine Tätigkeit als Dirigent.

Von Reinhard Kriechbaum

Der faksimilierte Brief war dem Programmheft zu den jüngsten Konzertern des Concentus Musicus in Wien beigelegt. „Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne“, schreibt Harnoncourt. Die Wiener Konzerte hat Erwin G. Ortner übernommen, als Leiter des Arnold Schönbeerg Chores ein jahrzehntelanger Weggefährte Harnoncourts.

Nun muß sich auch die Salzburger Mozartwoche für das dritte Konzert der Wiener Philharmoniker (am 30. Jänner) um Ersatz umschauen, auch die Festspiele, die im Rahmen der Ouverture spirituelle am 25. Juli Beethovens „Neunte“ unter seiner Leitung angesetzt hatten. Beethoven wäre überhaupt 2016 im Zentrum von Nikolaus Harnoncourts Interesse gestanden: Am 17. Jänner hätte er im Theater an der Wien den „Fidelio“ konzertant geleitet, anstatt der gesprochenen Dialoge mit dem Text „Roccos Erzählung“ von Walter Jens. Und im Juli hätte Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus bei der Styriarte in Graz alle Beethoven-Symphonien aufgeführt (den Symphonienzyklus hat er schon vor anderthalb Jahrzehnten gemacht, da aber mit dem Chamber Orchestra of Europe).

„Da kommen große Gedanken hoch“, schrieb Harnoncourt jetzt – und niemand hätte von ihm erwartet, dass das mehr als so entschiedene wie lapidare Sätze sein würden: „Da wird wohl vieles bleiben.“ Niemand wird Harnoncourts historische Verdienste anzweifeln.

Bei diesen Verdiensten geht es keineswegs nur um die „Originalklangbewegung“. Denn was Harnoncourt stets auszeichnete, war die Fähigkeit, Musik immer wieder neu zu denken. Oder korrekt gesagt: Neu nachzudenken über Wege und Mittel, wie die Musik heutigem Publikum so nahe zu bringen wäre, dass es vom Alten eben aufs Neue gepackt würde. So und nicht als museales Reproduzieren wollte Nikolaus Harnoncourt das verstehen, was er mit dem schönen Wort „Klangrede“ in den Titel seines Buch-Bestsellers schrieb und was eigentlich nur am Rande mit alten Instrumenten - eher schon: alten Spielweisen - zu tun hat.

So wurde also aus einem Musiker, der in den ersten Jahren und Jahrzehnten natürlich nach dem „originalen“ Klang suchte, ein eigentlich ganz anderer: Einer, der etwa mit dem Chamber Orchestra of Europe oder dem Concertgebouw Orchester auf ergiebige tönende Forschungsreisen auszog. Einer, der sich auch die Wiener Philharmoniker zum Freund zu machen wusste. Zwei Mal haben sie ihn als Dirigenten des Neujahrskonzerts eingeladen.

Zu dem wachen Geist des eben nicht nur im vermeintlich alten Tonfall „klangredenden“ Musikers gehörte sein Engagement als Operndirigent. Er scheute auch nicht, mit Vertretern des Regietheaters zusammenzuarbeiten (etwa bei „La Clemenza di Tito“ 2003 bei den Festpielen). Von Monteverdis Opern bis zu Gershwins „Porgy and Bess“ reicht Harnoncourts Opernhorizont.

Nikolaus Harnoncourt wurde am 6. Dezember 1929 in Berlin geboren, er ist in Graz aufgewachsen. Karajan holte ihn als Cellisten 1952 zu den Wiener Symphonikern, im Jahr darauf gründete er den Concentus Musicus. Das war zuerst ein Grüppchen von Menschen mit Forschergeist, die bei Harnoncourts privat probten. Erst 1957 gab der Concentus Musicus sein erstes öffentliches Konzert im Wierner Palais Schwarzenberg. Als Dirigent ist Harnoncourt 1972 in Mailand aufgetreten. In Zürich dirigierte er ab 1975 den Monteverdi-Zyklus, der ihm den internationalen Durchbruch brachte. Ebenfalls mit Ponnelle als Regisseur folgte dort der nicht minder legendäre Mozart/Da Ponte-Zyklus.

Der Mozartwoche ist sein erster Auftritt als Dirigent in Österreich zu verdanken (1980 am Pult des Concertgebouw Orchesters). Auch für sein Debüt vor den Wiener Philharmonikern sorgte die Stiftung Mozarteum. 1992 erst debütierte Nikolaus Harnoncourt bei den Festspielen. Von 1972 bis 1992 unterrichtete Harnoncourt am Salzburger Mozarteum Aufführungspraxis und historische Instrumentenkunde. Die Salzburger Bachgesellschaft hat ihn übrigens als erste zu einem „normalen“ Konzert in Salzburg eingeladen, mit dem Concentus Musicus.

Auf ihn quasi zugeschnitten wurde anfangs das Grazer Festival „Styriarte“. Seine jährlichen Styriarte-Auftritte, meist mit geistlicher Musik der Wiener Klassik in der Pfarrkirche Stainz sind legendär - und eben mit dem Concentus Musicus und dem Schönberg Chor auch Musterbeispiele für hoch spirituelles Musik-Gestalten. Ein schöner Satz, mit dem die „Kleine Zeitung“ heute den Styriarte-Leiter Matthis Huber zitiert: Was das Festival in Zukunft sein werde, wirde es von Harnoncourt gelernt haben: „Er hat uns gelehrt, nicht nur als Diener der Kunst, sondern auch als Diener des Publikums zu agieren.“

Über Nikolaus Harnoncourt - www.harnoncourt.infoZum heutigen "Nikolaus Harnoncourt-Tag" in ORF III: tv.orf.at
Bild: Styriarte / Werner Kmetitsch