Nosferatu und Chaplin, Freder und Arbeiter 11811

SALZBURG BIENNALE / FILMSCHWERPUNKT „LICHTSPIELMUSIK“

03/03/11 Möglichst alte Filme - möglichst zerkratzte Fragmente unter möglichst spektakulären Umständen wieder aufgefunden und restauriert - und dazu dann möglichst moderne Musik: Das ist derzeit „in“. „Lichtspielmusik“ heißt die Programmlinie der Salzburg Biennale, die von 3. bis 27. März einige besonders reizvolle Programmpunkte zu diesem Trend anzubieten hat.

Von Heidemarie Klabacher

Tatsächlich verleihen moderne Klang- und Musikkulissen den alten Filmen nicht selten eine neue Dimension - oft sogar in der inhaltlichen Aussage, nicht nur in der atmosphärischen Wirkung. Den Anfang macht das „Ensemble Modern“ mit der zeitgenössischen „Untermalung“ und „Kommentierung“ wahrer Großkaliber der Stummfilmzeit.

„Wer kennt und liebt nicht Charlie Chaplins wunderbare Stummfilme ‚Easy Street’, ‚The Immigrant’ oder ‚The Adventurer’?“, heißt es im Biennale-Folder. Im Republic am Freitag (4.3.) wird  zu den legendären Film-Denkmälern aber nicht die originale Hollywoodmusik aus den 20er Jahren erklingen, sondern die von Benedict Mason 1988 geschriebene Komposition „ChaplinOperas“ aus 1988.

Chaplins Kunst sei „so sehr zum Mythos geworden und ihre komödiantischen Einfälle so bekannt oder vorhersagbar, dass sie nicht mehr jener Musik bedarf, die sie bisher begleitete“. Er habe daher „eine Musik voller Mimikry und Turbulenz“ geschrieben, „wie es dem generellen Charakter der Filmhandlung zukommt“, so der Komponist. „Die drei Partituren sind gewissermaßen unsichtbare oder umgekehrte Opern, die über eine durch die Sänger (und Untertitel) hinzugefügte üppige und vielschichtige Nebenhandlung verfügen. Das Genre könnte man vielleicht als ‚Semiopern-Filmspiel’ bezeichnen.“

Diese Chaplin „Filmmusik“ sei jedenfalls „die kongenialste Leistung eines Komponisten zu einem Film“, so Roland Diry, der Geschäftsführer des „Ensemble Modern“, das seinerzeit mit dieser Filmmusik seinen allerersten Kompositionsauftrag vergeben hat.

Die „Wieder-Auffindungs- und Rekonstruktions-Geschichte“ von Fritz Langs „Metropolis“ ist beinah so aufregend und spannend, wie der teuerste Film aller Zeit selber. Damals war es ja ein Flopp. In den USA wurde der Film außerdem derart gekürzt verstümmelt und verschandelt, dass nicht einmal mehr eine nachvollziehbare Geschichte übrig blieb. Ein Viertel des Originalmaterials galt überhaupt als verloren.

Im Jahr 2008 wurden in einem Archiv in Argentinien die fehlenden Teile und das originale Schnittbuch Fritz Langs entdeckt. Drei Kopien habe es damals gegeben, erzählt der  Ensemble-Modern Geschäftsführer. Die wieder gefundene Kopie dürfte jene Kopie gewesen sein, mit der Fritz Lang 1927 selber gearbeitet hat. Sie unterscheidet sich etwa in den Blickwinkeln des Kamerastandpunktes von den beiden anderen gleichzeitig gedrehten Fassungen. All das ist bekannt und Filmgeschichte. Ihre Premiere erlebte die rekonstruierte Fassung von „Metropolis“ bei der Berlinale im Vorjahr.

Bei der Salzburg Biennale wird nun diese rekonstruierte Fassung (sie dauert 35 Minuten länger als die bis dahin geläufige Fassung) vorgeführt - und mit brandneuer Musik unterlegt: Uraufgeführt wird am Samstag (5.3.) im Republic die dolby-sourround Neufassung der Metropolis-Musik von Martin Metalón für 16 Musiker und Elektronik. Metalón hat schon 1995 im Auftrag des IRCAM Paris eine neue Filmmusik zu „Metropolis“ komponiert. Jetzt hat er sich mit dem Film in seiner „vorläufigen Letztgestalt“ erneut auseinandergesetzt. Die monumentale Parabel vom Aufstand der uniformen Massen der Unterstadt gegen die Herrschenden der Oberstadt ist ja weit mehr als eine „Ikone der Filmgeschichte“, sie ist vielmehr ein geradezu visionäres Bild vom schreienden Unrecht der Ungleichbehandlung von Menschen.

„Experimentelle und surrealistische Stummfilme der 20er Jahre“ stehen am Beginn des zweiten Biennale-Wochenendes am 10. März in der ARGE auf dem Programm. "Das Ensemble ascolta ließ für experimentelle und surrealistische Stummfilme der 20er Jahre neue Musik schreiben und schuf zu den eindrucksvollen Filmvorlagen musikalische Gegengewichte", so die Biennale. 

Am 12. März spielt das Österreichische Ensemble für neue Musik die Österreichische Erstaufführung der Musik zum Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von Wolfgang Zeller.Das Märchen vom reichen Bankier, der nicht nur das Geld, sondern auch die Künste liebte, ist auch für Kinder geeignet.Gruseliger geht es im „Cabinet des Dr. Caligari“ zu: Thierry Zaboitzeff hat den berühmten deutschen Stummfilm von Robert Wiene neu vertont. Erzählt wird am 17. März in Das Kino die Geschichte des Irrenhausdirektors Dr. Caligari, der den hilflosen Schlafwandler Cesare für seine Allmachtsphantasien missbraucht und ihn als Mordinstrument benutzt.

Ein weiterer Klassiker - Nosferatu aus 1922 von Friedrich Wilhelm Murnau, der erste Vampirfilm der Geschichte - hat auch eine neue Musik bekommen: Der spanische Komponist José Maria Sánchez-Verdú greift verfremdete Bruchteile der Original-Musik Hans Erdmanns auf und lasse „die Bilder-Symphonie Murnaus durch eine zeitgenössische Klangsprache neu und unmittelbar werden“ (am 20. März im Republic). Mit „Simon S. goes Hollywood oder das Genie Simon Stampfer“ feiern die Salzburg Biennale und Das Kino“ eine Filmpremiere am 19. März: Es ist ein Porträt über den fast vergessenen österreichischen Physiker, Mathematiker und Filmpionier Simon Stampfer, der im Jahr 1833 die stroboskopische Scheibe erfindet. „Polaroids“ heiß.t das Projekt von Bernhard Braunstein und Manuel de Roo: Die gefilmten Polariods werden am 24. März in „Das Kino“ präsentiert“. Zur Österreichischen Erstaufführung kommt das Projekt „Hanns Eisler, Musik für  Film“ am 26. März im Republic.

Biennale "Lichtspielmusik" - www.salzburgbiennale.at
Bilder: Salzburg Biennale