Ein Sommer, wie er früher einmal war?

FILMKRITIK / ROTER HIMMEL

18/12/23We’re gonna live free and wild”, heißt es im Song In my Mind der österreichischen Indie-Band Wallners. Regisseur Christian Petzold, der sonst kaum Filmmusik verwendet, legt diese eindringliche Nummer über die Opening Credits und damit über die Grundstimmung für seinen neuen Film – Roter Himmel.

Von Andreas Öttel

Am Ende des Films, als nach einem verhängnisvollen Sommer für die vier jungen Menschen nichts mehr so ist wie vorher, erklingt In my Mind dann noch einmal und „Love’s gonna make us find“ ist dann eine weitere Textzeile, die sich einprägt.

Dazwischen liegen schwebende Tage in einem abgelegenen Ferienhaus an der Ostsee.

Es ist heiß und trocken, seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Leon und Felix, Freunde seit Kindertagen, begegnen Nadja, die als Saisonkraft im Küstendorf jobbt, und Devid, der als Rettungsschwimmer arbeitet. Und so wie ein Funke genügt um die ausgetrockneten Wälder um sie herum in Brand zu setzen, geschieht es den jungen Menschen mit ihren Gefühlen und Hoffnungen, mit der Liebe. Es gibt das Glück und die Sehnsucht, aber auch Eifersucht, Empfindlichkeiten und Spannungen.

Als Zuseher hat man das Gefühl, selbst diesen Sommer mit den Protagonisten verbracht zu haben, so nahe kommt man ihnen. Ganz besonders gilt dies für die männliche Hauptfigur Leon, die kongenial vom Wiener Schauspieler Thomas Schubert verkörpert wird. Seine Darstellung eines frustrierten, selbstzentrierten jungen Schriftstellers in der Schaffenskrise geht viel stärker unter die Haut, als man das noch zu Beginn des Films erwarten würde. Paula Beer brilliert ebenso als sanftmütige, aber selbstbewusste junge Literaturwissenschaftlerin. Dass das gesamte Darsteller-Ensemble sich so wunderbar entfalten kann, liegt vor allem daran, dass Christian Petzold ihnen in seiner Inszenierung den nötigen Freiraum gibt. Er nimmt sich stilistisch mehr als sonst zurück und baut melodramatische, mythische Elemente nur behutsam ein. Vielleicht ist ihm gerade deshalb einer seiner besten, jedenfalls aber zugänglichsten Filme gelungen.

Roter Himmel ist ein leiser, unaufdringlich betörender, aber gleichzeitig auch kraftvoller Film, der nicht nur auf der intimen Ebene großartig funktioniert, sondern auch als Portrait einer selbstverliebten Generation, die am Ideal der Selbstverwirklichung zu zerbrechen droht. Dass überdies Waldbrände das sommerliche Idyll bedrohen, ist vor dem realen Hintergrund der Waldbrände in Europa im Sommer 2023 eine zusätzliche Ebene, die dem Film Relevanz verleiht.

Dennoch ist der Film in gewisser Weise zeitlos. Die Grund-Konstellation, wie auch die Atmosphäre des Films erinnern ein wenig an Menschen am Sonntag von 1930, den legendären Stummfilm aus der Weimarer Zeit.

Die Nichtberücksichtigung von Roter Himmel beim Deutschen Filmpreis ist hingegen nicht nachvollziehbar und wurde in der deutschen Filmindustrie sowie im Feuilleton bereits hinlänglich debattiert. Christian Petzold, unbestritten einer der wichtigsten aktuell in Deutschland arbeitenden Regisseure, wird es aber wohl kaum eine schlaflose Nacht bereiten, zumal der Film ja bereits auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären (Großer Preis der Jury) ausgezeichnet wurde.

Bilder: stadtkinowien.at