Ein Musical wie von Samuel Beckett
FILMKRITIK / THE END
08/04/25 „It's the End of the World as We Know It (And I Feel Fine)” sangen REM 1987, ein Song, der unter anderem im Katastrophenfilm Independence Day augenzwinkernd zum Einsatz kam. Ähnlich scheint es auch den Charakteren in The End zu gehen, dem ersten postapokalpytischen Musical der Filmgeschichte.
Von Andreas Öttl
The End ist aber weniger ironische Hommage an das Genre noch eine Brechung, sondern im Grunde ein absurdes Drama im Stil von Samuel Beckett. Die Musical-Sequenzen sollen lediglich dazu dienen, die Scheinwelt und Selbstlügen der Charaktere offenzulegen.
25 Jahre, nachdem der ökologische Kollaps die Erde unbewohnbar gemacht hat, leben Mutter (Tilda Swinton), Vater (Michael Shannon) und Sohn (George MacKay) zusammen mit ihrem Butler (Tim McInnerny) und der Freundin der Mutter (Bronagh Gallagher) in einer ehemaligen Salzmine, die zu einem palastartigen Bunker umfunktioniert ist. Mit Hilfe alltäglicher Rituale versuchen sie, sich Hoffnung und ein Gefühl von Normalität zu bewahren – bis die Ankunft eines unbekannten Mädchens (Moses Ingram) ihre heile Welt auf den Kopf stellt. Der Sohn, ein gutgläubiger Mittzwanziger, der noch nie etwas von der Außenwelt gesehen hat, ist fasziniert von der Unbekannten, und plötzlich zeigen sich Risse im naiven Optimismus, der den wohlhabenden Clan bisher zusammengehalten hat.
Das Musical hatte im Goldenen Zeitalter Hollywoods vor allem eine eskapistische Funktion und stand in den USA der Nachkriegszeit sinnbildlich auch für eine Zeit des Optimismus und des Aufschwungs. The End hingegen ist das passende Pendant für die Wahrnehmung der aktuellen Epoche. Die von den Schauspielern selbst gesungenen Musical-Sequenzen sind demnach auch – obwohl durchaus an den Vorbildern orientiert – entsprechend farblos gehalten. Sie sorgen nicht wie in den klassischen Musicals für Euphorie, sondern offenbaren im Gegenteil die Tragik hinter dem Eskapismus. Dieses Konzept und generell die ambitionierten Ideen des Films funktionieren aber in der Theorie besser als in der Praxis. The End ist nicht nur alles andere als ein mitreißender Film, sondern leider auch intellektuell kein besonders stimulierender.
Die Monotonie der recht konventionell komponierten Musik und die Limitationen des Schauspielensembles im Gesang sind im Kontext des Films bis zu einem gewissen Grad akzeptabel. Viel schwerer wirken die Drehbuchschwächen und der fehlende Spannungsbogen in dem immerhin 148 Minuten langen Film. Dies ist vor allem deshalb schade, weil er interessantere Fragen stellt als viele andere postapokalyptische Dystopien. Sein eigentliches Drama spielt sich vor allem im Kopf der Charaktere ab und unweigerlich kommen einem dabei Assoziationen zu unserer realen Welt.
Wie geht es etwa den Eliten in Trumps Amerika, die sich vom Rest des Landes abkapseln und deren Reichtum in vielen Fällen auf einer Ausbeutung ihrer Mitmenschen und den natürlichen Ressourcen der Welt beruht? Was macht der andauernde Krieg innerlich mit den Oligarchen in Russland? Wie lange kann man die Realität verleugnen, bis Zweifel aufkommen? Ist Realitätsflucht ein legitimes Mittel gegen die Belastungen der Dauerkrise der Welt?
Auf diese Themen spielt der Film vage an, geht jedoch nicht wirklich in die Tiefe. Die Charaktere werden zwar – anders als in vielen anderen Filmen über die Superreichen – durchaus ernst gebnommen, dennoch fehlt es den Figuren an Komplexität. Nur in seltenen Momenten können die Schauspieler daher glänzen, am ehesten gelingt dies noch George MacKay als Sohn. Bei ihm werden die inneren Konflikte als erstes sichtbar.
Lediglich visuell kann der Film überzeugen. Die diversen Blautöne offenbaren die Kälte hinter dem schönen Schein und die bedächtigen Kamerabewegungen schaffen eine mitunter bedrückende Atmosphäre der Dekadenz, welche durch die diversen Kunstwerke, mit denen sich die Familie umgibt, noch verstärkt wird. Was seine emotionale Wirkung betrifft, erreicht Joshua Oppenheimers Spielfilmdebüt aber nicht annähernd jene erschütternde, Augen öffnende Wucht, die seinen preisgekrönten Dokumentarfilm The Act of Killing über den Genozid in Indonesien zu einer eindringlichen Erfahrung gemacht hatte.
Bilder: stadtkinowien.at