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Der Maulwurf wird vergast

FILMKRITIK / HANNAS SCHLAFENDE HUNDE

31/03/16 Manchmal sind politische Schlagzeilen aufregender als ein literarisch/filmisches Statement. Die beiden Bereiche können aber auch gar wundersam ineinander greifen. Die Geschichte „Hannas schlafende Hunde“ von Elisabeth Escher, verfilmt von Andreas Gruber, spielt in Wels.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Stadt ist, schlagzeilenmäßig, so gut beleumundet nicht. Als zweitgrößte Gemeinde Österreichs hat sie im Vorjahr einen blauen Bürgermeister bekommen. Ein Film, auch ein solcher mit Überlänge, taugt wenig für differenzierte polit-soziologische Querschnittsanalysen. Dafür ist die Geschichte, die der Filmemacher Andreas Gruber aus dem Roman von Elisabeth Escher gemacht hat, auch entschieden zu dick aufgetragen. Aber beide, Escher und Gruber, sind in den fünfziger Jahren in Wels zur Welt gekommen und dort aufgewachsen. Sie wissen, welches Milieu sie schildern, wenn sie die Story in einer jener Siedlungen ansiedeln, die in den Kriegsjahren eilends erreichtet wurden, weil mehr und mehr Leute „heim ins Reich“ kamen.

„Heimatvertriebene“ unter sich, sozusagen. Das inkludiert – weil Andreas Gruber durchaus nicht zimperlich vorgeht beim Spiel mit den Emotionen – eine satte Portion Sippenhaftung, beschwört aber eben auch damaligen Zeitgeister (wir schreiben das Jahr 1967). In denen gründen die heutigen. Da ist der Hausmeister, der nie aufgehört hat, sich als „Blockwart“ zu fühlen. Beim Vergasen der Maulwürfe in der Wiese kann er auf ein gewissen Know how zurückgreifen. Da sind viele Leute, die mit scheinbarer Wohlgefälligkeit aus ihren Fenstern auf das liebe blonde Mädel Hanna schauen. Hinter ihrem Rücken zeigen sie auf die Familie: Ihre Großmutter und ihre Mutter haben jüdischen Hintergrund. Wie die Frauen mit dem (arischen) Migrantenstrom nach Wels gekommen sind, auf welche Weise sie überlebt haben, wodurch die Großmutter ihr Augenlicht eingebüßt hat – das wird nach und nach nicht unspannend aufgeschlüsselt.

Was hat es mit dem scheint's so netten pensionierten Bankdirektor in der Nachbarschaft auf sich? Wenn Hannas Familie sonntags zur Kirche geht (die Familie huldigt einem trotzigen Radikal-Katholizismus) kreuzt er nicht zufällig ihren Weg. Eine katholische Hardlinerin ist Hannas verhärmt wirkende, spitzzüngige Religionslehrerin.

Alle sind Spezialisten im Hintenherum-Reden. Hannas Mutter hat das Schweigen zur seelenbedrohlichen Perfektion kultiviert. Keiner, nicht mal ihr Ehemann, ahnt irgendetwas von den „schlafenden Hunden“. Gerade er will auch nichts ahnen. Was Hanna mitgegeben wird auf den Weg: „Es ist besser, wenn unsereins nicht auffällt.“

124 Minuten psychischer Dauer-Kleinkrieg mit einigen Thrill-Szenen. Opfer ist ein Volksschulkind mit sonnigem Gemüt, das eigentlich nur die Großmutter als Ansprechpartnerin hat. Die Blinde – diese Metapher darf nicht fehlen in der an Klischees nicht gerade armen Geschichte – sieht natürlich alles rundum sonnenklar und versorgt die Enkelin mit kryptischer Lebensweisheit. Das offene Reden haben sie alle – die Altnazis und die in ihrer Existenz einst akut gefährdeten Juden – gründlich verlernt.

Andreas Gruber hat vor einem Vierteljahrhundert mit dem Film „Hasenjagd – Vor lauter Feigheit kannten sie kein Erbarmen“ (über die so genannte „Mühlviertler Hasenjagd um geflohene KZ-Insaßen) ein wichtiges Stück oberösterreichische Nazi-Vergangenheit der Öffentlichkeit bewusst gemacht. In der „blauen“ Wels-Gegenwart ist solches möglicherweise auch nicht fehl am Platz, und es ist schon gut, dass der vor Ostern bei der Diagonale in Graz uraufgeführte Streifen heute Abend (31.3.) dort erst-präsentiert wird, bevor er ab morgen in die Kinos kommt.

Der Film lebt von der zurückhaltenden schauspielerischen Leistung von Hannelore Elsner als Großmutter, und natürlich von der toll geführten, völlig unverkrampften Nike Seitz. Sie ist die sonnige Arglosigkeit in Reinkultur. Franziska Weisz in der Rolle der seelisch verstockten Mutter, Rainer Egger als extrem karikierend gezeichneter Vater haben es da deutlich schwerer. Johannes Silberschneider ist der (vorkonziliare) Pfarrer, der im Film nicht ganz so schlecht wegkommt wie in der Romanvorlage.

Ja, schon: Auf die Tränendrüsen wird mächtig gedrückt mit der opulenten Anhäufung von Ungeheuerlichkeiten. Es ist nicht Vergangenheitsaufarbeitung mit der feinen Klinge, da sind sowohl die Autorin als auch der Filmemacher selbst einfach zu sehr autobiographisch involviert.

Ab Freitag (1.4.) auch im Salzburger Filmkulturzentrum „Das Kino“ – www.daskino.at
Bilder: Thin-Film
Zur Leseprobe aus dem Buch von Elisabeth Escher Zwischen den Geleisen

 

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