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Da Zimmamånn & i

DOKUMENTATION / HOFHAIMER-TAGE / ERÖFFNUNGSREDE

26/05/17„In dem kleinen Dorf hinter den Bergen“: Da hatte ein Bursch ein Erweckungserlebnis. Der am Radiogerät war Fritz Messner, Singer und Songwriter der „Querschläger“. Der Musiker im Äther war ein gewisser Bob Dylan, den man damals auch noch bei seinem echten Namen, Robert Allen Zimmermann, nannte. Davon erzählte Fritz Messner gestern Donnerstag (25.5.) bei den 31. Paul-Hofhaimer-Tagen in Radstadt. – Die Eröffnungsrede im Wortlaut.

Von Fritz Messner

Eine sehr persönliche Annäherung an das Werk Bob Dylans und ein Appell, sich bedingungslos in die Welt der Lyrik und der Musik fallen zu lassen.

in de åltn kåltn und de weitn zeitn
in de wås heit de guatn sen
då is koa plåtz zan redn und trama gwen

wo jeda våda lehra und a jeda moasta
ålls des wås eahm nid ebn is schleift
bergreift oach glei des wås oach åndagreift

in so ach welt håt ålls
des wås an sinn håt a sein zweck
und ålls des wås koan nutzn håt
des ghecht gånz oafåch weg

Tja, so war es wohl, das Leben in der guten alten Zeit in dem kleinen Dorf hinter den Bergen: Der rechte Winkel war das Maß aller Dinge, das allmächtige Korrektiv, an dem alles ausgerichtet wurde, manifestiert in einem unsichtbaren Koordinatensystem, dessen x-Achse die oft so unverständliche wie unhinterfragbare Tradition und dessen y-Achse das Greifbare, das Praktische und das Nützliche waren.

Alles, was sich nicht nach diesem System ausrichten ließ, war unnütz und überflüssig, sogar ein wenig mit Verruchtheit behaftet. Auch Kunst – ein Wort, das, wenn überhaupt, dann nur gepaart mit dem Adjektiv modern und ergo ausschließlich in negativen Zusammenhängen genannt wurde – hatte entweder einen traditionellen oder einen praktischen Wert, oder eben gar keinen. Auch die Musik war nur ein Teil von etwas – etwas Religiösem, etwas Brauchtümlichem, etwas Touristischem. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sich Musik wegen der Musik an sich anzuhören, sich auf sie einzulassen, ernsthaft, in ihr zu versinken, sich ganz und gar in den Klängen, Lauten und Worten eines Liedes zu verlieren, in der guten alten Zeit in dem kleinen Dorf hinter den Bergen.

Und so dudelte halt Gebrauchsmusik durch das Gesellschaftsleben und aus den Radios: Volksmusik, Schlagermusik, Popmusik, letztere hatte schon ihren Reiz für einen jungen Menschen, vor allem musikalisch, erschöpfte sich bei genauerer Betrachtung bzw. Übersetzung aber im Endeffekt meistens auch in Phrasen, die jenen des gerade in Hochblüte stehenden deutschen Schlagers in punkto Plattheit eindeutig Paroli bieten konnten.

auf an sunntåg vormittåg gånz aus n blåbn
steaht auf oamål oana då
de leit håbnt gsågt des wa da zimmamånn

so oan wia den den håt ba ins no nia oach gseahchn
so frei so scheich so liachte augn
er hat glei gsågt: geah mit es wecht da taugn

kimm påck die zsåmm
weil länga då bleibn bringt nid vi
und nåchand sen ma gång
da zimmamånn und i

Und dann war da diese Stimme, irgendwann an einem Sonntagnachmittag schnitt sie sich förmlich ihren Weg aus dem Lautsprecher in meine Gehörgänge und von dort weiter bis in die letzte Faser meines Körpers; sie war nicht schön, auf gar keinen Fall schön, sie war der absolute Gegenentwurf zu allen schönen Stimmen, der Antipode zu Belcanto, nicht aus dem Bauch, nicht aus der Brust, kehlig, knödelig – später würde ich einmal in einer Kritik lesen, sie klänge, als schallte sie über die Mauern einer Lungenheilanstalt – aber im Gegensatz zu den vielen schönen und belanglosen Stimmen meines damaligen musikalischen Horizonts sagte sie mir unmissverständlich: Ich meine es ernst!

Mir war nach wenigen Tönen klar, instinktiv, wer so singt, der muss auch etwas zu sagen haben, und ich wollte einfach unbedingt wissen, was das wohl war. In der kurzen Sendung bekam ich noch mit, dass es sich bei dem Interpreten um einen gewissen Robert Allen Zimmermann handelte, der unter dem Namen Bob Dylan Platten veröffentlichte, dann war der Spuk auch schon vorbei.

Und da es in der guten alten Zeit in dem kleinen Dorf hinter den Bergen noch nicht so einfach war, sich jegliche Musik stante pede aus dem Netz, aus der Wolke oder aus anderen Winkeln des Cyberspace zu saugen, plünderte ich sämtliche Sparschweine, opferte schweren Herzens einen ganzen Schultag, stellte mich an die B99 (die Lungauer Route 66) und „stoppte“ wie es damals so schön hieß, über den Tauern in die Landeshauptstadt, um mir dort in einem Plattengeschäft, das sinnigerweise ebenfalls nach einem Alpenüberquerer, nämlich dem Punier Hannibal benannt war, zwei wunderbare schwarze Vinylscheiben dieses Bob Dylan anzueignen.

Und als dann, endlich wieder daheim, das Rauschen der Nadel vom ersten Lied auf der Platte übertönt wurde, war es um mich geschehen, denn ich hatte mich nicht getäuscht: Der Mann mit der schneidenden Stimme hatte etwas zu sagen, er hatte sogar sehr viel zu sagen.

Die halbe Nacht lang saß ich da, mit dem Kopfhörer, hörte die Platten immer wieder, übersetzte die Texte mit meinem Schulwörterbuch und tauchte förmlich ein in den Kosmos des Zimmermanns, der sich Bob Dylan nannte. Immer öfter stand ich an der B99, und meine Begeisterung wuchs mit meiner Sammlung und fast jedes Lied bot zig Anknüpfungspunkte.

Da waren die frühen Songs, geprägt von Country-Blues und der amerikanischen Volksmusik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer Volksmusik, die nicht zum behübschenden Beiwerk glattgepflegt worden war, sondern die das Leben der einfachen Leute realistisch und schonungslos spiegelte und die durch Interpreten wie Woody Guthrie, Leadbelly, Pete Seeger, oder die Weavers durchaus eine gesellschaftspolitische Bedeutung hatte, was die Künstler in der McCarthy-Ära deutlich zu spüren bekamen.

Dylan bediente sich der Melodien und Motive dieser Lieder, lud sie aber, was bis dahin äußerst unüblich war, mit topaktuellen Themen auf, die er in einer in diesem Genre bis dato nicht erreichten lyrischen Qualität in eigene Worte fasste, und wurde dadurch innerhalb kürzester Zeit zu einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung.

Come gather around people
Wherever you roam
And admit that the waters
Around you have grown
And accept it that soon
You'll be drenched to the bone
If your time to you is worth saving
Then you better start swimming or you'll sink like a stone
For the times they are a-changing

Da ihn die dogmatischen Scheuklappen der und die politische Vereinnahmung durch die Bewegung aber sehr bald einengte und in seinem kreativen Schaffen beschränkte, brach er nach kurzer Zeit aus dem Korsett ihrer ungeschriebenen Gesetzte aus und vollzog – so wie er es in seinem künstlerischen Leben noch sehr oft tun sollte – eine radikale Kehrtwende. Er bewegte sich musikalisch weg von den Folksongs, hin zum zur populären, elektrisch verstärkten Beatmusik, was bei seinem angestammten Publikum Stürme der Entrüstung und wahre Buhruf-Orgien bei Konzerten auslöste, was ihn aber eher zu beflügeln als zu stören schien.

Textlich wandte er sich von den tagespolitischen Themen ab und freieren Formen zu. Die neuen Lieder waren, obwohl immer noch in Endreimen verfasst, offensichtlich von den Bewusstseinsströmen der Beat Poets und der Écriture automatique der Surrealisten beeinflusst, enthielten genauer genommen aber eigentlich Anleihen aus allen nur denkbaren Bereichen der Literaturgeschichte.

Mein damaliger Englischlehrer, dem ich heute noch zutiefst dankbar dafür bin, wies mir anfangs den Weg durch die unendlichen assoziativen Schluchten dieser Texte, hin zu deren Quellen, über epochale, kontinentale und religiöse Grenzen hinweg. Immer öfter wurde ich von überraschten Lehrern in der Schulbibliothek gesichtet, in der ich mir quasi Sekundärliteratur besorgte, um der Flut an Anspielungen auf den Grund zu gehen und so immer tiefer in diese Welt aus Musik und Sprache einzutauchen.

Bilder und Metaphern aus den Büchern der Bibel und der Torah und aus den Briefen Ovids prallten auf Dantes Verse und Szenen aus Shakespear’schen Stücken, Traumsequenzen aus den Gedichten Rimbauds und Verlaines wurden in Kontrast gesetzt mit Kinderreimen, Filmzitaten, Werbejingles und den Mythen der Landstraßen des amerikanischen Mittelwestens. Dadurch entstanden komplexe Montagen aus sämtlichen Versatzstücken der Hoch und der Alltagskultur, wie im Lied „Highway 61“, in dem eine Szene aus dem Alten Testament auf jene Landstraße verpflanzt wird, die Dylans Heimatort an der kanadischen Grenze mit New Orleans verbindet, dem kulturellen Schmelztiegel des Südens, in dem aus schwarzem Blues und Gospel, europäischer Volks- und Tanzmusik und kreolischen Klängen der Fond für die Musik des 20. Jahrhunderts geköchelt wurde.

God said to Abraham, "Kill me a son"
Abe said, "Man, you must be puttin' me on"
God said, "No" Abe say, "What?"
God said, "You can do what you want, Abe, but
The next time you see me comin', you better run"
Abe said, "Where d'you want this killin' done?"
God said, "Out on Highway 61!“

Und Texte wie dieser wurden nun rhythmisch gnadenlos vom Off-Beat einer stampfenden Rhythm & Blues-Band angetrieben und von dieser hypnotischen Stimme gesungen, die nicht nur die Silben, sondern auch die Wahrnehmung bis ins Unendliche zu dehnen schien, und die so die Worte auf eine andere Ebene hob und damit zu unendlich viel mehr machte, als sie auf dem Papier waren. Das Zusammenspiel der drei Komponenten Musik, Text und Stimme erzeugte eine Art Sogwirkung - fiele nur eine von ihnen weg, würde der Zauber verpuffen.

Um es ins Bildnerische zu übersetzen, das bis dahin eigentlich meine künstlerische Leidenschaft gewesen war: Als hätten Mathias Grünewald, Marc Chagall und Andy Warhol gemeinsam ein Bild gemalt, unter Anleitung von Marcel Duchamp, und in feinen, lasierenden Schichten übereinander, so dass sich in der Gesamtschau aus wohlbekannten Teilen ein völlig neues Szenario ergibt, das gleichzeitig die verwirrende Gegenwart einer Umbruchszeit und die zeitlose Essenz menschlichen Daseins spiegelt.

durchs tiafe tal und über s wåssa semma gånga
und durch de tram va tausnd jåhr
ins noie lånd weit hinta schea und wåhr

gånz ohne gwalt und a gånz ohne jede åbsicht
håmma de welt in trümma ghaut
und aus de scherbn a gånz a noie baut

er håt ma gsågt wånns d seahchn willst
då derfst di nid vastelln
und wia r a wieda gånga is
bin i an åndra gwen

Und gerade weil der Zimmermann sich hemmungslos in der gesamten Kulturgeschichte bediente, öffnete er mir eine geheime Türe, hinter der sich die Lieder von mindestens tausend Jahren befanden. Von den Troubadours Aquitaniens und den Minnesängern des Mittelalters über Francois Villon, Volksballaden, Chansons, Couplets und Volksliedern aus aller Welt bis hin zu Brecht/Weil und den Liedern des Widerstands – ein unendlicher Spiegel des Lebens.

Und am Ende landete ich natürlich auch bei der musikalisch ausgeklügeltsten Liedform, dem durchkomponierten Kunstlied, schauderte mich vor den Kindertotenliedern, verliebte mich in die schöne Müllerin und versank vollends im tiefen Schnee der Winterreise; und genau dort, am Rande der menschlichen Abgründe, schloss sich für mich überraschenderweise der Kreis. Ich bemerkte, dass sich die Bilder und Motive fast aller guten, wahrhaften und ernst gemeinten Lieder dieser Welt, unabhängig von ihrer Form, auf fast unheimliche Art ähnlich waren. Ob das sogenannte „Lyrische Ich“ auf seiner Wanderung durch romantische Wälder und Schluchten am einen Ende der Skala, oder der Hobo und Bluesman „on the road“ auf den Highways des Südens am anderen Ende, sie führen uns im Zusammenklang von Musik, Worten und Gesang komprimiert über die Höhen und durch die Abgründe des Menschseins, wie sonst kaum eine andere Kunstform.

Und so könnte der Leiermann, der den Zyklus der Winterreise mit den Worten abschließt

Wunderlicher Alter!
Soll ich mit dir geh'n?
Willst zu meinen Liedern
Deine Leier dreh'n?

durchaus auch Dylans „Mr. Tambourine Man“ sein, dem sich der Wanderer am Ende seiner Reise durch die Nacht zuwendet, indem er singt

Hey, Mr. Tambourine Man, play a song for me
I'm not sleepy and there ain't no place I'm going to
Hey, Mr. Tambourine Man, play a song for me
In the jingle jangle morning I'll come following you

Nachsatz: Und nun also der Nobelpreis: Mir persönlich ist’s egal, dem Zimmermann wohl noch viel mehr, sang er doch schon im Jahre 1962 augenzwinkernd

Yippie! Im‘ a poet and I know it, hope I don’t blow it!

Sollen sich doch die Erbsenzähler daran abarbeiten, pro oder contra, in ihrem feinen, kleinen, abgeschiedenen, klaustrophobisch-verklausulierten Elfenbeintürmchen, aus dem er seine Lyrik schon vor Jahrzehnten hinauskatapultiert und dann im wahrsten Sinne des Wortes elektrisch aufgeladen hat.

Ich für meinen Teil, soviel steht fest, wäre heute ganz sicher ein anderer, hätte mich damals, in der guten alten Zeit in dem kleinen Dorf hinter den Bergen nicht diese unvergleichliche Stimme gepackt und aus der vorbestimmten Bahn geworfen.

Dankschea nutz, Zimmamann!

Das „kleine Dorf hinter den Bergen“ ist St. Michael im Lungau, wo der Autor, Musiker, Kabarettist und Lehrer Fritz Messner 1962 geboren wurde. Im Hauptberuf ist er Lehrer für Englisch, Bildnerische Erziehung, Musik und EDV in der Neuen Musik-Mittelschule in St. Michael (derzeit karenziert). Er schreibt die Texte für die 1990 von ihm gegründete Lungauer Band „Querschläger“. Auch mit Kabarettprogrammen zieht er durch die Lande.
Die 31. Paul-Hofhaimer-Tage im Radstadt dauern noch bis Sonntag, 28. Mai – www.daszentrum.at

Bilder: Christian Streili (2); Das Zentrum (1)

 

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